Die Spinne (German Edition)
sie breiten sich aus wie Hepatitis. Deswegen hatte ihr Vater von Beginn an jeden Versuch abgeblockt, seiner Geheimabteilung einen Namen zu geben. Die meisten Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen wussten – zumindest offiziell – nicht einmal von ihrer Existenz, vor allem Amerika und Russland, die beide 2002 mit einem Veto gegen seinen Vorschlag zur Einrichtung eines unabhängigen UN-Geheimdienstes gedroht hatten. Also hatte Jewgeni den Vorschlag erst gar nicht eingereicht und sich stattdessen gleich gesinnte Diplomaten aus Deutschland, Kenia, Luxemburg, Island, Bangladesch, Portugal und Ghana gesucht. Gemeinsam fanden sie bürokratische Schlupflöcher zur Finanzierung der anonymen Abteilung, und wenn er wichtige Erkenntnisse an sie weitergab, konnten sie entscheiden, ob sie sie der Generalversammlung vorlegen wollten oder nicht.
Nach Alexandras Rekrutierung gewährte er ihr Einblick in die Akten und antwortete ihr nach bestem Wissen und Gewissen auf all ihre Fragen. Beispielsweise erklärte er ihr, wie problematisch sich der Aufbau der Organisation gestaltet hatte. Der isländische UN-Botschafter drängte ihn zur Nutzung eines Büros in Brüssel, das sich sein Land gesichert hatte. Der portugiesische Vertreter konterte mit seinem Büro in Genf. Auch den Vorschlägen der anderen war deutlich anzumerken, dass jeder Diplomat nach persönlicher Kontrolle strebte und wahrscheinlich sogar plante, die entsprechenden Räumlichkeiten zu verwanzen. Also musste Jewgeni die Sache selber in die Hand nehmen.
Er hatte schon immer mehr Begeisterung und Verständnis für Technik an den Tag gelegt als seine Kinder, und diesem Umstand hatte er es zu verdanken, dass er die neu geschaffene Abteilung 2003 dezentralisieren konnte. Er stellte zwei Sekretärinnen ein und stattete sie mit Laptops aus. Innerhalb eines Netzwerks von sicheren Häusern in ganz Europa reisten sie getrennt mit dem Zug oder dem Auto von Wohnung zu Wohnung, die sie jeweils einen Monat lang nutzten, damit niemand mit dem Computer irgendwelche Sicherheitskontrollen über sich ergehen lassen musste. Über verschlüsselte Ferndatenbanken synchronisierten die beiden Sekretärinnen ihre Laptops täglich und tauschten Meldungen von Agenten aus, mit denen sie laufend in Kontakt standen. Jewgeni blieb räumlich getrennt von ihnen, erhielt aber über sein BlackBerry täglich Berichte und traf auf dieser Basis Entscheidungen, die er dann auf dem gleichen Weg übermittelte.
Nach Jewgenis Angaben war es eine Qual gewesen, das System einzurichten, doch sobald es stand, lief es reibungslos. Er wurde mit Berichten versorgt und entschied, was mit den Informationen geschah. Zum Beispiel wurde ein Dokument über den portugiesischen Anspruch auf die spanische Provinz Olivenza dem Vertreter Bangladeschs zur Vorlage in der Generalversammlung übergeben, während ein Bericht über die schwierige Grenzregion zwischen Bangladesch und Indien den Portugiesen zugespielt wurde. Im Idealfall konnten so alle Informationen öffentlich gemacht werden, wenn man sie einem Land anvertraute, für das durch die Verbreitung nichts auf dem Spiel stand.
Doch ab 2006 wurde die Datenlast erdrückend. Eine unvermeidliche Entwicklung, da sein Stab von Außendienstagenten von fünfzehn auf achtundzwanzig und die Zahl seiner Sekretärinnen auf vier angewachsen war. Den ganzen Tag über piepte sein BlackBerry, und bald sammelte sich ein Überhang von Informationen an, den er nicht mehr aufarbeiten konnte. Aus diesem Grund wandte er sich an Alexandra.
Sie war zu dem Zeitpunkt seit vier Monaten geschieden, und obwohl sie in der Londoner Filiale der Anwaltskanzlei Berg & DeBurgh einen kometenhaften Aufstieg hingelegt hatte, machte sie nie ein Geheimnis daraus, dass sie in diesem Beruf genauso wenig Erfüllung fand wie in ihrer Ehe. Ich trete seit fünf Jahren auf der Stelle, Nana.
Dann arbeite für mich.
Sie hatte sich den Vorschlag eine Woche lang durch den Kopf gehen lassen und willigte schließlich ein, allerdings nur unter einer Bedingung: Keine Manipulation, keine Unaufrichtigkeit. Entweder ich bin gleichberechtigte Partnerin, oder ich mache es nicht.
Natürlich werde ich ehrlich zu dir sein, Sascha. Du wirst einmal alles übernehmen, wenn ich abtrete.
Sei dir da nicht so sicher , warnte sie, und dann stellte sie ihn auf die Probe: Warum bist du zu den Vereinten Nationen gegangen?
Auf diese Frage hin hatte er andere und auch sie früher stets mit idealistischen Ausflüchten abgespeist. Es war das
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