Die Spinne (German Edition)
freundlich einem Pagen zu, während sie auf den Aufzug zusteuerte. Drinnen drückte sie auf die Vier und spähte durch die sich schließenden Türen. Keine Steingärten und auch sonst keine Menschenseele.
Im vierten Stock war es leer, und dank Francisco war die Kamera am Ende des Gangs tot. Rasch strebte sie zur Treppe und trabte dann eine Etage tiefer, wo sie auf eine weitere tote Kamera stieß. Zimmer 306 lag auf halber Höhe des Korridors.
In ihrer Wohnung hatte sie zwar eine Pistole, hatte sie aber nicht mitgenommen, weil sie fest damit rechnete, in dem Zimmer ihren schnarchenden Bruder vorzufinden. Selbst wenn er es nicht war, ließ sich das problemlos regeln. Sie brauchte sich nur als eine nach Alkohol riechende Frau zu tarnen, die sich in den frühen Morgenstunden in der Tür geirrt hatte. Von dieser Sorte liefen in London einige herum.
Sie klopfte dreimal laut und wartete. »Charlie!« Obwohl sie in Russland aufgewachsen war, beherrschte sie ihren Yorkshire-Akzent perfekt. »Charlie, ich weiß, dass du da drin bist!«
Auf der anderen Seite der Tür entstand Bewegung, und sie pochte erneut. »Charlie, ich hör dich doch! Ich geh hier nicht weg, solang du mir nicht aufmachst!«
Wieder ein Rascheln, dann öffnete sich die Tür. Ein abgehetztes Gesicht erschien. Der Mann war groß, Ende dreißig und hatte etwas militärisch Attraktives an sich. Er trug Boxershorts und ein T-Shirt, das einen muskulösen Körper zeigte.
»Ach, Sie sind gar nicht Charlie.«
»Nein, ich bin nicht Charlie.« Sein Akzent war deutlich amerikanisch.
Eigentlich machte er einen harmlosen Eindruck, aber er benutzte einen von Milos Namen, und das hieß, dass von Harmlosigkeit nicht die Rede sein konnte. Mit einer Hand am Türrahmen beugte sie sich vor und legte die Yorkshire-Aussprache ab. »Aber Sebastian Hall sind Sie auch nicht, oder?«
Er blinzelte und hob eine auffallend rote Hand vor den Mund, um ein Gähnen zu unterdrücken. Eine blassere Stelle deutete auf einen fehlenden Ehering. »Wer sind Sie?«
Sie senkte die Stimme und ließ ihren russischen Akzent aufblitzen. »Mich interessiert nur, warum mir nicht Milo Weaver die Tür aufgemacht hat.«
Rechts von ihr bewegte sich etwas, und beide bemerkten Francisco, der mit den Händen in der Jacke im Korridor aufgetaucht war. Er hatte wohl eine Waffe dabei. Bestimmt hatte ihr Vater darauf bestanden.
»Wer ist das?«, fragte der Mann.
»Ein Freund. Kann ich reinkommen?«
Er trat zurück und gab den Blick frei auf ein ordentliches Zimmer. Dann ging er zum Fernseher und öffnete den kleinen Kühlschrank darunter.
Sie wandte sich an Francisco, der jetzt neben ihr stand. »Wie lange haben wir?«
»Sieben, acht Minuten noch. Mehr, wenn ich noch mal runterschaue.«
»Warte noch fünf Minuten, dann geh runter.«
Francisco nickte. Sie trat ins Zimmer und schob die Tür zu, bis sie fast geschlossen war.
Der Mann sah sie an. »Bleibt er draußen?«
»Am besten, wir fangen mit Ihrem Namen an.«
Er reichte ihr ein Fläschchen Kognak – anscheinend hatte er ihr Aroma identifiziert – und nahm sich selbst einen Whisky. »Ich habe nicht vor, mich hier als offenes Buch zu präsentieren. Fangen wir mit Ihrem Interesse an Milo Weaver an.«
Da ihr nur wenige Minuten blieben, hielt sie Zurückhaltung für überflüssig. »Er ist mein Bruder.«
Zu Recht erstaunt zog er die Brauen hoch. »Ich weiß, er hat zwei Schwestern, aber …« Er schraubte das Fläschchen auf. »Natalia?«
»Sie ist nicht so dumm, sich da einzumischen. Ich bin Alexandra.«
»Sind Sie im Auftrag Ihres Vaters hier?«
Sie zuckte die Achseln.
»Ich bin Milos … na ja, ich war sein Chef. Jetzt sind wir einfach Freunde.«
»Alan Drummond, also«, konstatierte sie. »Und Sie meinen, so verhält sich ein Freund von Milo? Reist unter einem Namen, nach dem im Zusammenhang mit einem Kunstraub gefahndet wird?«
»Hey, Sie sind wirklich gut informiert.« Er schüttete den Whisky hinunter.
Alexandra öffnete ihren Kognak und kippte ihn ebenfalls. Angenehme Wärme durchströmte sie. »Bloß den Grund kenne ich nicht. Wollen Sie, dass er verhaftet wird?«
Ein Schatten huschte über seine Züge: Verwirrung, Schmerz oder Schuldbewusstsein. Im Deuten von Gesichtsausdrücken war sie noch nie besonders gut gewesen; sie nahm eher die Körpersprache wahr. »Ich habe keine Wahl«, meinte er schließlich. »Die Fäden werden von anderen gezogen.«
»Sie werden beobachtet?«
»Ja.«
»In der Lobby ist kein Mensch.«
»Im ganzen
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