Die Spinne (German Edition)
sicheren Ort gebracht. Ich schätze, dass er hier ist, um Sie zu töten.«
»Das wäre eine Leistung«, meinte Zhu.
»Genau wie zwei Wochen lang in der ganzen Welt herumzugondeln, ohne dass man von Guoanbu und CIA gefasst wird.«
»Ich verstehe, was Sie meinen, Mr. Weaver. Bitte entsorgen Sie das Telefon, ich melde mich später wieder. Ihre Freundin ist schon auf dem Rückweg.«
Gehorsam zerlegte Milo das Telefon und versteckte die Teile unter der Matratze. Als er sich gerade wieder hingelegt und die Augen geschlossen hatte, öffnete sich die Tür. Mit unbewegtem Gesicht trat Leticia ein, gefolgt von einem Mann Anfang dreißig, dessen langes, lateinamerikanisches Gesicht ein dünner Schnurrbart zierte. Seine Augen lagen verborgen hinter einer Sonnenbrille. Bevor Leticia den Mund aufmachen konnte, sagte der Mann: »Kein besonders harter Hund, oder?«
»Bitte?« Milo setzte sich auf.
»Der berühmte Charles Alexander.«
Es war nicht der erste Tourist, der Milos schillernde Vergangenheit für etwas Glorreiches hielt. Es hatte keinen Zweck, sich mit dem Typen zu streiten. Er begnügte sich mit: »Hector Garza. Alias José Santiago.«
»Zu Diensten.«
»Jetzt fehlt bloß noch Tran Hoang, dann sind wir vollzählig. Ist er noch immer abgängig?«
»Ich kenne einen Witz«, meinte Leticia ungeduldig, »über zwei Touristen in Hongkong, die sich nicht an Sicherheitsregeln halten, aber ich hab die Pointe vergessen. Ah, jetzt fällt’s mir wieder ein. Am Schluss sind sie beide tot. « Sie machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte aus dem Zimmer.
»Da sind wir wohl ins Fettnäpfchen getreten.« Garza folgte ihr.
Rasch schnappte sich Milo seine Schuhe und lief ihnen nach. Zusammen verließen sie das Hotel und liefen die Nathan Road hinauf bis zu den Bäumen vor dem Space Museum gegenüber dem Peninsula. Vor ihnen bewegte sich ein ununterbrochener Strom von Autos, und sie starrten hinauf zu der hohen Hotelfassade.
»Was macht der Kerl bloß?«, fragte Leticia.
Garza hatte anscheinend die Gewohnheit, an der Seite der Oberlippe zu saugen, als würde er nach verirrten Krümeln graben. »Bleibt wohl die ganze Zeit drin. Wir haben nur die Hoteldaten. Ist gestern angekommen und hat das Zimmer seitdem nicht verlassen. Genau wie in London.«
»Er präsentiert sich«, sagte Milo.
»Natürlich«, antwortete Garza, »aber für uns oder für sie? Oder für jemand anders?«
»Spielt keine Rolle«, konstatierte Leticia. »Auf jeden Fall müssen wir seinen Arsch da rausschleifen.«
»Lasst mich zuerst mit ihm reden«, drängte Milo.
Leticia fixierte ihn. »Und was ist mit Xin Zhus Leuten?«
»Was?« Garza bekam große Augen.
»Das ist nicht mehr wichtig«, erklärte Milo. »Wir sind schon mit dem Betreten der Lobby aufgefallen und wahrscheinlich sogar schon früher. Ich rede einfach mit ihm, und wenn Zhu meint, er muss mich mitnehmen, dann ist das auch egal – ich habe keine Ahnung, was wir hier eigentlich treiben, weil mich niemand eingeweiht hat.«
»Wir sind nicht hier, um uns zu unterhalten.« Trotz der Sonnenbrille war zu erkennen, dass Garza ihn giftig anfunkelte.
»Ihr habt ihn wochenlang nicht zu fassen gekriegt«, erwiderte Milo, »und jetzt zeigt er sich in aller Öffentlichkeit. Der Mann ist doch nicht blöd.«
»Du riskierst vielleicht dein Leben«, warf Leticia ein.
»Also schön. Ihr zwei könnt hier rumstehen und euch den Kopf darüber zerbrechen, wie ihr ihn entführt, ohne dass jemand was merkt, oder wie ihr ihn erschießt, ohne dass ihr erwischt werdet. Aber das ist Alan doch auch klar. Er hat genau gewusst, wenn er nach Hongkong kommt, sitzt er in der Falle. Und er weiß, dass ihr ihn da nicht rausholen könnt. Bleibt nur die Möglichkeit, dass er sich unterhalten will. Und ich bin hier der Unwissende – das geringste Risiko für die Operation.«
Garza wandte sich Leticia zu, als würde er eine Entscheidung erwarten, doch sie zuckte nur die Achseln. Dann sah er Milo an. »Wenn du versuchst, ihn rauszuschmuggeln, seid ihr beide fällig.«
»Hier.« Leticia nahm eine kleine Browning-Pistole Kaliber .25 aus ihrer Handtasche und drückte sie ihm in die Hand. »Eine klassische Damenwaffe, aber sie erfüllt ihren Zweck.«
»Ich bringe ihn nicht um.«
»Das weiß ich, Milo. Aber vielleicht musst du jemanden umbringen, um lebend wieder rauszukommen.«
Drei Minuten später durchquerte er die Lobby. Die kleine Waffe in seiner Tasche war schwerer, als sie aussah. Er versuchte erst gar nicht, die
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