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Die Spinne (German Edition)

Die Spinne (German Edition)

Titel: Die Spinne (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
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seinem Verdacht gegen Wu Liang und einer Reihe von diesen Informationen her. Bo Gaoli hat erkannt, dass er in mir einen potenziellen Verbündeten hatte. Leider war ich am Sonntag, den 20. nicht erreichbar, als er mich anrufen wollte.«
    »Was haben Sie an diesem Sonntag gemacht, Xin Zhu?«, warf Yang Qing-Nian ein.
    »Ich war mit meiner Frau zusammen und habe, abgelenkt von meinem Eheleben, den Akku meines Telefons nicht rechtzeitig aufgeladen. Damit werde ich leben müssen.«
    Yang Qing-Nian nickte mit ausdruckslosem Gesicht.
    Zhu fuhr fort. »In dem Wissen, dass sich die Lage immer mehr zuspitzte, hat Bo Gaoli seine Frau zu Verwandten aufs Land geschickt, aber das hat ihm nicht geholfen. Noch bevor er den Brief am Montag abschicken konnte, hatte ihn Wu Liang festgenommen.«
    Stirnrunzelnd musterte Zhu die Anwesenden, doch niemand zeigte die leiseste Regung.
    »Auf eine wichtige Frage habe ich keine Antwort: Was hat Bo Gaoli während der Haft in Wu Liangs Zelle gestanden? Hat er gestanden, dass dieser Brief existiert? Das kann ich mir nicht vorstellen, denn dann wäre es für Wu Liang am zweckmäßigsten gewesen, Bo Gaolis Haus niederzubrennen, um den Brief zu vernichten. Jedenfalls hätte ich das in dieser Situation getan. Allerdings hat Bo Gaoli vermutlich zugegeben, dass er einen Zusammenhang zwischen Wu Liang und bestimmten Punkten auf meiner Liste herstellen konnte, denn erst nach seiner Verhaftung ist Wu Liang in meinem Büro aufgetaucht, um alles infrage zu stellen, was ich aufgezählt hatte. Und nachdem er Bo Gaoli beseitigt hatte, hat er sich darangemacht, meine Karriere zu ruinieren, vielleicht sogar mein Leben. Dass ich noch hier bin, ist nicht etwa, wie Wu Liang meint, ein Beweis für mein politisches Stehvermögen, sondern ein Beweis für die Unbestechlichkeit unseres Systems, das manchmal langsam arbeitet, aber immer Gerechtigkeit fordert.«
    Der letzte Satz war ein wenig Agitprop für das Aufnahmegerät, denn allen Anwesenden war klar, dass es in diesen Hallen nur selten Gerechtigkeit gab. Überleben – so lautete das einzige Motto.
    »Sie haben Geld erwähnt«, bemerkte Zhang Guo. »Dreihunderttausend. Gibt es dafür eine Erklärung?«
    »Bis jetzt noch nicht«, bekannte Zhu. »Welche Rolle es in dem gesamten Hergang spielt, ist nicht geklärt, allerdings geht mein Verdacht in eine bestimmte Richtung.«
    »Vielleicht möchten Sie uns diesen Verdacht mitteilen.« Sun Bingjuns Gesicht war erfüllt von tiefem Ernst.
    Zhu holte Luft. Er war wütend auf sich, weil er nicht den Mund gehalten hatte, und jetzt fehlten ihm die Notizen. Doch er hatte den Eindruck vermeiden wollen, dass er einfach nur etwas Vorbereitetes vom Blatt ablas. »Wenn ich zu einer Stellungnahme gezwungen wäre, würde ich auf den Ertrag von Erpressung tippen.«
    »Pardon?« Yang Qing-Nian klang ungeduldig.
    »Der von mir skizzierte Ablauf bleibt mehr oder weniger unverändert«, erwiderte Zhu, »nur dass Bo Gaoli den Verrat Wu Liangs womöglich schon viel früher entdeckt und ihn nicht angezeigt hat, wie es richtig gewesen wäre, sondern sich für sein Schweigen bezahlen ließ.«
    Ohne den Blick von der Wand zu nehmen, ergriff Wu Liang das Wort. »Warum sollte er sich dann an Sie wenden, Xin Zhu, und damit diese Einnahmequelle aufs Spiel setzen?«
    »Weil er erkannt hat, dass es vorbei ist. Er hat gesehen, dass ich Beweise gegen den Maulwurf zusammentrage, und ihm war klar, dass der Wert dieser Zahlungen verblasst im Vergleich zu den politischen Vorteilen, die er erwarten konnte, wenn er an der Entlarvung eines hochrangigen Spions mitgewirkt hätte. Hätte er mir geholfen, wäre er auch bei einer Aufdeckung der Erpressung viel glimpflicher davongekommen. Doch er hat nicht damit gerechnet, dass Sie sich mein Rundschreiben zunutze machen, um ihn festzunehmen und aus dem Weg zu räumen.«
    »Lächerlich«, antwortete Wu Liang der Wand, doch seine Wangen waren gerötet.
    »Ist das alles auch stichhaltig?«, gab Feng Yi zu bedenken. »Was hier vorgetragen wurde, beruht weitgehend auf einem Brief, der bei einer Toten gefunden wurde. Sun Bingjun, haben Sie auch überprüft, ob er tatsächlich von Bo Gaoli geschrieben wurde?«
    Sun Bingjun zögerte keine Sekunde. »Seine Fingerabdrücke wurden auf der ersten und der letzten Seite gefunden.«
    »Aber nicht auf denen dazwischen?« Yang Qing-Nian schien sich darauf zu besinnen, dass er seinen Mentor unterstützen sollte.
    »Vielleicht hatte er Handschuhe an«, bemerkte Feng Yi

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