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Die Spinne (German Edition)

Die Spinne (German Edition)

Titel: Die Spinne (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
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Wesentlichen abgelenkt wurde. Außerdem war eine ganz neue Beziehung zu Sun Bingjun entstanden, die ein hohes Maß an Sensibilität erforderte. Durch die Hilfe für Zhu setzte der Generalleutnant seine ganze Existenz aufs Spiel, und diese Information sollte sich nicht weiter verbreiten als unbedingt nötig. Sun Bingjun hatte ihn aufgefordert, um neun in der Großen Halle des Volkes zu erscheinen und die Geschichte zu präsentieren, mit deren Ausgestaltung er fast die ganze Nacht in seinem heimischen Büro zugebracht hatte. Sie musste vollständig sein, auch wenn einzelne Fakten nicht bekannt waren, daher schloss er die Lücken mit gut begründeten Spekulationen. Um acht schlüpfte er in seine Jacke. Den Kuss, den Sung Hui ihm gab, spürte er kaum.
    Nach dem Regen am Wochenende war der Himmel angenehm klar, als er die Große Halle erreichte, und auf den feuchten Stufen drängten sich keine Schulkinder. Oben hatten mehr Wachen mit Gewehren Posten bezogen als üblich, und er fragte sich, ob er irgendeine Bekanntmachung versäumt hatte. Oder ob sie vielleicht auf ihn warteten.
    In der Peking-Halle traf er auf Zhang Guo und Feng Yi, die beide eine Zigarette rauchten. Ein paar Schritte vor ihnen blieb er stehen.
    Zhang Guo wandte sich an ihn. »Ich nehme an, Sie können einen Durchbruch vermelden, Xin Zhu?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Vielleicht hat Sun Bingjun Neuigkeiten.« Feng Yi machte eine Geste mit der Zigarette. »Er hat die Besprechung einberufen.«
    Wie aufs Stichwort schlenderte Sun Bingjun mit einer gelben Mappe unter dem Arm herein und zog die Augenbrauen hoch, als er die drei Anwesenden bemerkte. »Keine Notizen?«, fragte er Zhu.
    Zhu tippte sich an den Schädel.
    »Gefährlich.« Sun Bingjun setzte sich auf einen Stuhl.
    Zhang Guo und Feng Yi bedachten sie mit fragenden Blicken.
    Wu Liang erschien wieder in Begleitung seines Assistenten Yang Qing-Nian, doch heute machten beide einen verunsicherten Eindruck. »Fast hätte ich es nicht geschafft«, teilte Wu Liang mit. »Manche Leute können es nicht ohne Weiteres einrichten, zu kurzfristig anberaumten Sitzungen zu eilen.«
    »Entschuldigung«, erwiderte Sun Bingjun. »Sie hätten ja nicht kommen müssen.«
    Wu Liang war nicht entgangen, wie kühl Sun Bingjuns Stimme klang. Er schüttelte den Kopf. »Ich habe zu wenig geschlafen, verzeihen Sie.«
    Sie nahmen ihre Plätze ein, und Zhu ließ sich wieder gegenüber von den anderen nieder. Nachdem er seinen eigenen Digitalrekorder im Zentrum des Raums aufgestellt hatte, kehrte Sun Bingjun zu seinem Sitz zurück und eröffnete die Versammlung mit schlichten Worten. »Danke für Ihr Kommen. Wahrscheinlich haben Sie schon von dem tragischen Tod Hua Yuans an diesem Wochenende gehört, der Witwe Bo Gaolis. Dies ist der Grund unserer Zusammenkunft. Denn vielleicht wissen Sie noch nicht, dass sie in ihrer Küche brutal ermordet wurde und dass der Täter noch nicht identifiziert ist.«
    Niemand sprach ein Wort, doch alle rutschten unruhig auf ihren Stühlen herum.
    Sun Bingjun öffnete die Mappe auf seinem Schoß. »Die Frage nach der Identität ihres Mörders können wir vorerst zurückstellen. Zunächst haben wir uns mit einem Schriftstück zu befassen, das sie zum Zeitpunkt ihres Todes bei sich trug.« Er nahm den inzwischen getrockneten, in einer Plastikhülle verwahrten Brief aus der Mappe und hielt ihn hoch, um ihn allen zu zeigen. »Diesen Brief hat Bo Gaoli nur wenige Tage vor seinem Tod geschrieben. Darin benennt er einen amerikanischen Maulwurf innerhalb der chinesischen Staatssicherheit.«
    Erneut allgemeines Geraschel. Ohne darauf zu achten, reichte Sun Bingjun zusammengeklammerte Fotokopien des Briefes herum. Zhu stand auf, um sein Exemplar in Empfang zu nehmen.
    »Lesen Sie es sich in Ruhe durch.« Sun Bingjun klappte seine Mappe zu. Während sich die anderen in das Dokument vertieften, fixierte er Zhu, der den Brief ignorierte und seinerseits versuchte, in Sun Bingjuns Gesicht zu lesen. Doch es blieb völlig undurchdringlich.
    »Wo haben Sie das gleich wieder entdeckt?«, fragte Feng Yi.
    »Bei Hua Yuans Leiche«, erwiderte Sun Bingjun. »Die Verfärbung, die Sie erkennen können, stammt von ihrem Urin.«
    Yang Qing-Nian meldete sich zu Wort. »Ein Brief. Ein einzi ger Brief?« Seine Stimme wurde lauter. »Wer weiß, wer das geschrieben hat!«
    Wu Liang wusste, wann es besser war, den Mund zu halten.
    Zhang Guo schaltete sich ein. »Ich denke, Sun Bingjun, dass Sie uns genau erklären sollten, unter

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