Die Spinne (German Edition)
albernerweise.
Schweigen trat ein, und schließlich wandte sich Wu Liang von der Wand ab. »Ist das wirklich alles, was Sie gegen mich anführen können?«
Zhu schüttelte den Kopf. »Wir können noch einmal die Liste mit dem weitergeleiteten Material durchgehen. Alles Dinge, die Ihnen zugänglich waren.«
»Und Ihnen, Xin Zhu. Sie hatten doch auch Zugang zu diesem Material.«
»Wie wir alle«, unterbrach ihn Sun Bingjun, »doch keiner von uns wird in dem Brief eines Toten erwähnt. Bo Gaoli ist auch nicht in unserem Gewahrsam ums Leben gekommen. Und wie ich hinzufügen darf, hat auch keiner von uns eine Kampagne angezettelt, um Xin Zhus Suche nach der Identität eines amerikanischen Maulwurfs zu hintertreiben.«
Wu Liang ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Damit kommen wir wieder zu einigen grundlegenden Fragen im Hinblick auf die Amerikaner. Wenn ich, wie Sie behaupten, ein Maulwurf bin – oder wenn irgendjemand hier für die Amerikaner arbeitet –, warum schicken sie dann Agenten nach China, um sich einfache Informationen über Xin Zhus Privatleben zu verschaffen? Warum treffen sie sich direkt vor unserer Nase mit uigurischen Fanatikern? Da ist etwas im Gange, und die hier erhobenen Anschuldigungen geben keinerlei Aufschluss in diesem Punkt. Nur zu, verhaften Sie mich, wenn Sie es für nötig halten, aber bilden Sie sich nicht ein, dass Sie damit auch nur eine bedeutsame Frage geklärt haben. Was haben die Amerikaner vor, und in welcher Weise benutzen sie Xin Zhu für ihre Zwecke?«
»Möchten Sie eine Antwort darauf?« Zhu schaute ihn direkt an.
»Ach, Sie haben also eine Antwort?«
»Inzwischen bin ich davon überzeugt, und ich hoffe, noch heute Nachmittag die Bestätigung zu bekommen. Schon seit einiger Zeit ist uns bekannt, dass die Amerikaner eine komplizierte Vernebelungstaktik verfolgen. Sie lenken unseren Blick in andere Richtungen und spielen mit unseren Ängsten, um uns zu verwirren und mich zu kompromittieren. Unser Fehler war die Annahme, dass sie uns von einem geplanten Angriff ablenken wollen. Ich bin sogar bereit, diesen Fehler auf meine Kappe zu nehmen. In Wirklichkeit aber hatten all diese Anstrengungen nur den einen Zweck, ihren Agenten in unserer Mitte zu decken. Sie zu decken, Wu Liang. Solange wir uns von diesem Zirkus ablenken lassen, sind Sie geschützt. Bloß was passiert dann? Verraten Sie uns bitte: Ist Ihr Fluchtplan bereits angelaufen? Hat man Ihnen schon ein schönes Haus an der kalifornischen Küste reserviert? Wird Chu Liawa mitkommen, oder hat ihre politische Nützlichkeit ein Ende gefunden?«
»Das saugen Sie sich doch alles bloß aus den Fingern, Xin Zhu. Sie sind hier der Meister der Ablenkung.«
Zhu schenkte sich die Antwort. Wu Liang war erledigt. Selbst Yang Qing-Nian brachte kein Wort mehr heraus, weil es inzwischen zu gefährlich geworden war, sich für seinen Mentor einzusetzen. Zhang Guo fing Zhus Blick auf und nickte anerkennend.
Sun Bingjuns Gesicht brachte nur die Leere zum Ausdruck, mit der man sich gegen ein ganzes Regime behaupten konnte. »Wu Liang, die Untersuchung ist noch längst nicht abgeschlossen. Allerdings halte ich es für angemessen, Sie vorerst in Gewahrsam zu nehmen. Ist jemand anderer Meinung?«
Niemand sagte ein Wort.
Langsam schob sich Sun Bingjun aus seinem Stuhl und steuerte auf die Tür zu. Er öffnete sie und sprach kurz mit dem dort postierten Wachmann. Dieser verschwand, und Sun Bingjun zog die Tür zu, ehe er wieder an seinen Platz zurückkehrte. »Wu Liang, sollen wir Yang Qing-Nian als Ihren Betreuer in diesem Fall benennen? Ich möchte nicht, dass Sie in Ihrer Zelle völlig abgeschnitten sind wie Bo Gaoli damals. Er kann Ihre Interessen nach außen vertreten.«
»Wenn es Yang Qing-Nian recht ist«, antwortete Wu Liang. Sein Gesicht war vom Kinn bis zu den Augen tiefrot angelaufen. Zhu fürchtete, dass er jeden Moment in Ohnmacht fallen könnte.
Yang Qing-Nian nickte, doch eher notgedrungen als begeistert.
Als der Wachmann mit zwei weiteren Uniformierten wiederkehrte, ließ sich Wu Liang ohne Gegenwehr abführen. Er wirkte, als würde er nichts mehr von der Welt um sich herum wahrnehmen. Yang Qing-Nian folgte ihm hinaus. Feng Yi schüttelte Sun Bingjun die Hand, während Zhang Guo zu Zhu ging und flüserte: »Ich bin ehrlich beeindruckt. Glückwunsch.«
»Danke.« Kaum war ihm das Wort über die Lippen bekommen, beschlich Zhu ein unbehagliches Gefühl. Es war nicht richtig, dass man ihm zur Erfüllung seiner Pflicht
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