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Die Spinne (German Edition)

Die Spinne (German Edition)

Titel: Die Spinne (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
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Halbworten, dann weiter. Er stolperte über etwas am Boden, und die Soldaten fingen ihn auf. Türen öffneten sich. Kälte – sie waren draußen. Wind schüttelte ihn, dann sagte eine Stimme mit breitem Akzent: »Aufsteigen.« Blind streckte er den Arm aus und fand die Ladefläche eines Pick-ups. Er kletterte hinauf und wollte wieder aufstehen. »Hinlegen«, kam das Kommando. Der Motor sprang an, und der Pick-up rollte los.
    Vierzig Minuten, eine Stunde. Ihr Weg führte sie durch eine Kakofonie von Autohupen, Motoren und chinesischen Stimmen. Essensgerüche vermischten sich mit Benzindämpfen. Schließlich ebbte der Stadtlärm ab. Nach dem Verlassen geteerter Straßen wurde er auf der Ladefläche des Wagens erbärmlich durchgerüttelt. Nach einer Weile wurde der Pick-up langsamer, dann stoppte er, und das Motorengeräusch erstarb. In der Stille wartete er darauf, dass er abgeholt wurde, doch alles, was passierte, war, dass jemand mit knirschenden Schritten über den Kies zu ihm kam und neben seinem Kopf stehen blieb. Eine neue Stimme, auch sie mit starkem Akzent, fragte: »Tom Grainger war ein Freund von Ihnen?«
    Er war nicht sicher, was er darauf antworten sollte. Tom war mehr als nur ein Freund gewesen, doch er war seit fast einem Jahr tot. »Ja.«
    Die Stimme sprach weiter. »Wir haben hier gehört, dass Sie ihn umgebracht haben. Stimmt das?«
    »Nein.«
    »Wissen Sie, wer ihn umgebracht hat?«
    »Ja. Der Mann ist inzwischen auch tot.«
    »Ein Tourist?«
    Zögern. »Ja.«
    »Wurde er von Xin Zhu getötet?«
    »Nein«, antwortete Milo. »Von mir.«
    Nach einem Seufzen enfernten sich die knirschenden Schritte wieder. Der Wagen wurde angelassen. Die nächste Stimme hörte er erst, als die Straße nach einer Weile wieder glatter geworden war und der Pick-up mit laufendem Motor anhielt. Die ursprüngliche Stimme, die ihm nach dem Verlassen des Gefängnisses Befehle erteilt hatte, war zurück. »Abnehmen. Wir sind da.«
    Mit schmerzenden Gliedern setzte sich Milo auf und zerrte sich die Kapuze herunter. Doch statt heranflutendem Licht, das er eigentlich erwartet hatte, fand er sich auf einem nächtlichen Feld wieder, das nur von zwei regelmäßigen, bis in die Ferne reichenden Lampenreihen unterbrochen wurde. Hinter ihm auf dem Wagen stand ein chinesischer Soldat mit leerem Ausdruck, der ihn mit einem Nicken zum Absteigen aufforderte.
    Er kletterte hinunter auf die Piste. Als der Pick-up davonfuhr, bemerkte er wieder ein zweimotoriges Flugzeug, in dem nur wenige Innenlichter brannten. Die Treppe war aufgestellt, aber niemand kam heraus. Milo sah den verblassenden roten Rückleuchten des Wagens nach, bis ihn Dunkelheit umfing, die, wie er nun erkannte, von den Bäumen zu beiden Seiten der langen Rollbahn vertieft wurde. Er näherte sich der Maschine und wartete unschlüssig vor der Treppe, bis in der Luke oben eine schattenhafte Gestalt erschien. Eine Frauenstimme: »Komm schon, Milo. Oder willst du die ganze Nacht da draußen rumstehen?« Es war Alexandra.
    Als er die Treppe hinaufkletterte, kochte die Angst in ihm hoch, doch es war die Angst, die er im Gefängnis in den hintersten Winkel seines Bewusstseins verbannt hatte. Seine Beine waren taub vor Kälte, die Gelenke steif, und er fühlte sich wie der viel zu schnell einrostende Blechmann aus Der Zauberer von Oz.
    Lächelnd trat sie ihm mit einer Decke entgegen, die sie ihm um die Schultern schlang, als sie ihn zu den leeren Sitzen führte. Mit zitternden Beinen ließ er sich nieder.
    »Du stinkst, Milo«, sagte sie.
    »Ich hab mir in die Hose gepinkelt.«
    »Ich glaube, wir haben was zum Umziehen.«
    Sie wollte nach hinten verschwinden, aber er packte sie am Unterarm. »Was läuft hier eigentlich?«
    »Du fliegst nach Hause.«
    »Bitte.« Wieder zog er. »Erklär’s mir.«
    Sie gab nach und nahm ihm gegenüber Platz. In der schummrigen Beleuchtung wirkte sie jünger als zweiunddreißig, frisch und unschuldig. »In Hongkong konnten wir nichts unternehmen. Wir waren natürlich dort, und ich wusste auch, dass Alan Drummond nicht in diesem Zimmer war, aber als die Chinesen mit den Schießeisen angerückt sind, musste ich abhauen. Das verstehst du hoffentlich.«
    Stirnrunzelnd musterte er sie, weil er ihr nicht ganz folgen konnte. Wofür entschuldigte sie sich eigentlich?
    »Jedenfalls«, fuhr sie fort. »Erika hat mit einem chinesischen Bekannten gesprochen, aber das hat nichts gebracht. Er wollte eine Gegenleistung von den Amerikanern – ein einfacher Austausch

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