Die Spinne (German Edition)
zur kanadischen Grenze. Ihm graute nicht nur vor dem Scheitern der Operation, sondern vor dem Scheitern seines ganzen Lebens. Eine Woche zuvor hatte er seine Frau geschlagen. Während er sich auf dem Boden wand und echte Tränen vergoss, stand sie nur vor ihm, die Hand am Gesicht, und starrte ihn merkwürdig ausdruckslos an. Er hatte mit Wut und Hass gerechnet, doch allem Anschein nach empfand sie überhaupt nichts.
Auch Milo blieb stur und blockte jeden Versuch ab, ihn ins Boot zu holen, also hatte er sich darauf beschränkt, den Namen des Ortes fallen zu lassen, wo er seine Familie finden konnte, wenn es so weit war.
In Ferndale, einem ländlichen Ort nördlich von Seattle, traf er sich mit Tran Hoang auf der langen Main Street. Der Tourist hockte in einem Mazda, der vor einem Friseursalon mit dem Namen Hair to Dye For parkte, und schlürfte Kaffee aus einem neutralen weißen Becher. Alan stellte den Wagen, den ihm Hoang am Flughafen in Seattle hinterlassen hatte, zwei Autos vor ihm ab. Hoang ließ volle fünf Minuten verstreichen, ehe er ausstieg und sich neben Alan setzte. Er sagte nichts.
»Der Ablauf sieht so aus«, erklärte Alan. »Wenn du in Korea fertig bist, musst du von der Bildfläche verschwinden. Du fährst zurück nach Manhattan und behältst meine Frau Penelope im Auge. Du wirst nicht der Einzige sein, der sie überwacht.«
»Wer noch?«
»Die Chinesen.«
Hoang nickte.
»Such dir einen geeigneten Zeitpunkt aus, um sie rauszuholen. Erklär ihr, dass ich dich geschickt habe, und gib ihr das.« Er nahm den Ehering aus der Tasche und reichte ihn Hoang. »Wenn sie den Ring sieht, kooperiert sie bestimmt. Falls nicht, rufst du mich sofort an, dann rede ich selber mit ihr. Du bringst sie an diesen Ort.« Er überreichte ihm einen unbeschrifteten Umschlag. »Und pass auf sie auf.«
»Wie lange?«
»Bis du was anderes von mir hörst.«
Hoang öffnete den Umschlag und las die Adresse am Ufer des Grand Lake in Colorado. Darunter stand eine Anschrift in Brooklyn. Hoang seufzte und starrte durch die Windschutzscheibe. Im Profil hatte er Ähnlichkeit mit einer Statue. »Du änderst die Taktik.«
» Ich ändere gar nichts«, log Alan. »Die anderen versuchen, sie zu ändern.«
»Sie haben bestimmt ihre Gründe.«
»Sie haben Schiss gekriegt.«
»Vielleicht haben sie Informationen, die du nicht hast.«
Alan rieb am Lenkrad herum. Er war sich nicht mehr sicher, weshalb er erwartet hatte, dass Hoang mitmachen würde. Er hatte wohl den unwichtigen Umstand übersehen, dass er nicht mehr der Chef war. Aber er saß in der Klemme und konnte nur nach vorn drängen. »Sobald sie in Sicherheit ist, kehrst du zurück nach New York und beobachtest Milo Weaver. Er wohnt dort, in Brooklyn. Wir bleiben in Kontakt, und irgendwann musst du dann auch seine Frau und seine Tochter wegbringen.«
»Nach Colorado?«
»Ja. Sie sind mit Penelope befreundet, du kannst dich also wahrscheinlich zurückziehen, sobald sie zusammen sind. Wie es weitergeht, besprechen wir danach.«
Hoang schwieg.
»Kann ich mit dir rechnen? Wenn nicht, dann sag es jetzt.«
Hoang betrachtete zwei Schulkinder mit Rucksäcken, die viel zu groß für ihre zierliche Gestalt wirkten. »Erinnerst du dich noch an Henry Gray?«
»Natürlich.«
»Ich war ein paar Tage in Budapest und hab ihn beobachtet, nachdem wir ihn zurückgebracht hatten. Ich war überzeugt, dass er zu den Chinesen geht oder zur Polizei, und wenn es danach ausgesehen hätte, hätte ich ihn getötet. Doch ich hatte mich getäuscht. Er war so froh, dass er wieder zu Hause war und nicht mehr von uns gepiesackt wurde, dass er mit seiner Freundin einen Ausflug nach Lillafüred gemacht hat, einen ungarischen Urlaubsort in den Bergen. Sehr malerisch. Sie hatten viel Sex, haben gegessen und sind gewandert. Ich kam mir vor wie in einem schnulzigen Liebesfilm.«
Alan wusste nicht, wie er reagieren sollte.
Schließlich wandte sich Hoang zu ihm um. »Ist es bei dir und deiner Frau auch so?«
Alan dachte an den Schlag in Penelopes Gesicht, an seine tränenreiche Entschuldigung und an ihren harten, apathischen Blick. Er spürte, wie seine Augen feucht wurden, und musste den Drang unterdrücken, sie abzuwischen.
»Okay«, meinte Hoang. »Ich helfe dir.«
Mit dem für sie typischen strahlenden Lächeln steuerte sie in Heathrow auf ihn zu und rieb sich die dekorierten Hände, als wollte sie gleich in ein saftiges Steak beißen. »Baby, wie schön, dich wiederzusehen!« Umarmung, Kuss. Dann
Weitere Kostenlose Bücher