Die Spinne (German Edition)
Projekt? Tut mir leid – streng geheim. Wenn ich einwende, dass er nicht mehr an streng geheimen Sachen arbeitet, rudert er zurück und behauptet, es ist für irgendwelche Freunde.«
»Freunde wie Milo?«
Penelope zuckte die Achseln. »Da musst du ihn schon selbst fragen.«
Tina schwieg. Konnte es sein, dass Milo trotz seiner Beteuerung, dass diese Art von Arbeit hinter ihm lag, Alan bei unabgeschlossenen Projekten aus der Abteilung Tourismus unterstützte? »Ist es wirklich so schlimm? Für mich klingt das eher wie eine vorübergehende Phase. Und eine Scheidung ist was Permanentes.«
Penelope hob das Glas an die Lippen, doch bevor sie trank, entschlüpften ihr vier Worte. »Er hat mich geschlagen.«
»Was?«
Sie schluckte und stellte das Glas ab. »Vor ein paar Tagen. Nur einmal. Bei einem Streit. Hier.« Sie tippte sich auf den Wangenknochen unter dem linken Auge. Erst jetzt fiel Tina die zusätzliche Schicht Schminke an dieser Stelle auf. »Natürlich hat er sich entschuldigt. Sogar geweint hat er. Da ist bei mir irgendwie der Groschen gefallen.«
»Okay«, erwiderte Tina. »Jetzt versteh ich. Wenn ein Mann zuschlägt, ist es Zeit zu gehen.«
»Nein.« Penelope schüttelte den Kopf. »Du verstehst es nicht . Ich mach mir keine Sorgen, dass er mich verprügelt. So einer ist er nicht, auch wenn es anders aussieht. Nein, es war danach, als er weinend auf dem Boden rumgerobbt ist. Als er mich angefleht hat, dass ich ihn nicht verlassen soll. Da wurde es mir klar.«
»Was wurde dir klar?«
»Dass ich ihn nicht mehr liebe. Nicht weil er mich geschlagen hat. Sondern weil er bloß noch ein Häufchen Elend ist. Ich hab gemerkt, dass es mir egal ist, wenn er in Bier ersäuft und auf der Straße endet. Wenn er einen Herzinfarkt hat und auf der Stelle stirbt. Nein, das war keine Wut. Es war Apathie. Das völlige Fehlen der Gefühle, die ich bei unserer Hochzeit hatte.«
Wieder wurde es still zwischen ihnen. Tina erinnerte sich, dass auch sie schon manchmal so gedacht hatte – dass sie keine Liebe mehr für Milo empfunden hatte. Ja, diese Momente hatte es gegeben, aber nicht als Feststellung, sondern immer als Frage: Liebe ich ihn noch? Gerade als sie Penelope darauf ansprechen wollte, ob sie sich vielleicht nur eine Frage stellte, statt schon eine Antwort gefunden zu haben, fiel ihr ein, wie es war, als Milo vor neun Wochen unten vor dem Haus angeschossen worden war. Als es passierte, wollte sie nur eins: dass er wieder gesund wurde. Sogar Stephanie hatte sie in diesen grausamen Minuten aus den Augen verloren. Wenn etwas sie davon überzeugt hatte, dass sie ihre Eheprobleme überwinden konnten, dann war es dieses Ereignis. Und vielleicht war es das, was sie Penelope voraushatte.
Schließlich fand Tina doch noch Worte. »Im Grunde kann ich es nicht einschätzen, aber wenn du mich fragst, würde ich sagen, du willst glauben, dass eure Ehe tot ist, obwohl es nicht stimmt.«
»Wie kommst du darauf?« In Penelopes Augen funkelte echtes Interesse.
»Du bist noch immer mit ihm zusammen, und du bist hier erschienen, um mir davon zu erzählen. Du suchst nach einem Ausweg aus der verfahrenen Situation.«
Statt einer Antwort schaute Penelope sie nur an, und wieder spielte dieses dünne, traurige Lächeln um ihre Lippen. Eigentlich hatte Tina keine Ahnung, wer diese Frau war. Dann öffnete sich die Tür, und die Männer traten ein.
Beide Seiten waren in ihr jeweiliges Schweigen versunken, das so schmerzlich und peinlich war, dass sie sich nicht einmal hinter dem gehauchten Gesang von Françoise Hardy verstecken konnten. Also gingen sie in die Offensive, und bald darauf gaben vier verlegene Stimmen lachend Banalitäten von sich. Doch in Wirklichkeit waren sie nur darauf aus, die Stille zu übertönen, eine Stille, die in ihren Ohren gellte.
2
Während Xin Zhu ohne Träume lebte oder sie zumindest vergessen hatte, wenn er am Morgen erwachte, wurde Milo seit einem Monat von einem wiederkehrenden Albtraum heimgesucht. Im Gegensatz zu Alan Drummonds Traum von Punkten auf einem Monitor, die die Farbe wechselten, um den Tod von Menschen anzuzeigen, hatte er keine klare Verbindung zu den jüngsten Ereignissen.
Er spielte in einem Park, der von einer Seite aussah wie der Prospect Park, aber von einer anderen Seite her Ähnlichkeit mit der Gegend um Lake Devin in Oxford, North Carolina, hatte, wo er aufgewachsen war. Er war mit Stephanie zusammen, die nur zwei oder drei Jahre alt war, aber trotzdem mit ihm über den Film Der
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