Die Spinne (German Edition)
und riskanten Plan verfolgte, sondern auch versucht hatte, Milo mit faulen Tricks zum Mitmachen zu bewegen. »Er hat einen alten Namen von mir benutzt«, gestand er ihr schließlich.
»Was soll das heißen, er hat ihn benutzt?«
»Er hat sich mit einem Pass unter einem früheren Decknamen von mir im Rathbone Hotel angemeldet.«
Mit einem Ausdruck gereizter Verwirrung schüttelte sie den Kopf, als hätte er rückwärts gesprochen. »Aber … wozu?«
»Ganz einfach. Um mich mit reinzuziehen.«
»Und er dachte, dass das klappt.«
»Fast hätte es ja geklappt.« Beim Anblick der verfärbten Augen seiner Tochter am Esstisch hatte ihn das Gefühl überwältigt, dass er noch mal mit knapper Not davongekommen war. »Jedenfalls war es rücksichtslos«, setzte er hinzu. »Was mich so sauer macht, ist, dass der Name zu mir zurückverfolgt werden kann und damit auch zu dir und Stef.«
»Wirklich?«
Er nickte.
»Die Chinesen?«
Erneut nickte er.
Sie wurde still und richtete den Blick aufs Fußende des Betts. »Ich könnte den Scheißkerl erwürgen.«
Eigentlich war das Thema damit erschöpft, doch das hielt Tina nicht davon ab, ihn die ganze Nacht mit irritierten Fragen zu bedrängen, die er zum größten Teil nicht beantworten konnte. Als er nach längerem Schweigen gerade wegdriftete, sagte sie plötzlich: »Das wird euch beigebracht, oder?«
»Was?« Stöhnend hob er den Kopf vom Kissen.
»Schlafen. Schlafen, obwohl um euch herum alles zusammenbricht.«
»Klar«, antwortete er nach kurzer Besinnung. »Das ist ja wichtig.«
»Nein, es ist unmenschlich.«
9
Am Morgen war er schon früh auf den Beinen, um Kaffee zu kochen. Dann half er Stephanie beim Waschen ihrer Augenlider. Inzwischen war die Tinte fast verschwunden, aber sie war noch immer geknickt. Gabi lief ihm vor dem Feriencamp zwar nicht über den Weg, doch als er sich entfernte, bemerkte er auf der anderen Straßenseite einen Chinesen ohne Begleitung – grobknochig, mit einem Muttermal auf der Wange –, der womöglich Gabis Verehrer war. Der Mann schaute nicht in Milos Richtung, sondern auf das Campgelände, wo sich Kinder um einen Lehrer scharten. Eine gewisse Ähnlichkeit war zwar vorhanden, aber Xin Zhu konnte es auf keinen Fall sein – dafür war der Mann zwanzig Jahre zu jung.
Obwohl er am liebsten gar nicht mehr an die Sache gedacht hätte, machte er sich zu Hause daran, Alans Weg über Seattle, Vancouver, Tokio, Mumbai und Amman nach London nachzuverfolgen. Ohne so recht zu wissen, wonach er eigentlich suchte, überprüfte er Drummonds Reise ab dem 9. Juni, doch nirgends auf der Strecke stieß er auf öffentliche Ereignisse, die vielleicht Aufschluss über seine Absichten hätten geben können. So blieb die einleuchtendste Theorie, dass Alans komplizierte Route nur dazu gedient hatte, mögliche Beschatter abzuschütteln.
Punkt elf riss ihn das Klingeln seines Telefons aus der klaustrophobischen Welt des Internets. Beim Blick auf das Display fiel ihm zunächst die Washingtoner Vorwahl auf, bevor er sich erinnerte, dass er diesen Anruf erwartet hatte.
Stephen Rollins’ Sekretärin meldete sich. »Mr. Milo Weaver?«
»Ja. Ja, ich bin’s.«
»Ich kann Sie jetzt mit Direktor Rollins verbinden.«
»Schön. Vielen Dank.«
Ein Surren, dann knackte es dreimal in der Leitung. Stille. Milo wartete, ohne etwas von Mr. Rollins zu hören. »Hallo?«
»Mr. Weaver.« Eine dunkle, müde klingende Männerstimme mit einem undeutlichen Akzent. »Sie wollten mit mir sprechen.«
»Ja, es geht um einen Mann namens Dennis Chaudhury. Können Sie mir bestätigen, dass er einer Ihrer Mitarbeiter ist?«
Kurzes Zögern. »Das kann ich Ihnen bestätigen. Mr. Chaudhury steht in meinen Diensten. Haben Sie sonst noch ein Anliegen?«
»Na ja. Ich hätte gern einen Nachweis, dass Sie, Mr. Rollins, tatsächlich für die Central Intelligence Agency tätig sind. Wo ist Ihr Büro?«
Wieder eine Pause. Milo fragte sich, ob der Mann jemand anders in seinem Zimmer hatte. »Eins null eins West Thirtyfirst Street, Manhattan.«
Jetzt war es Milo, der zögerte. Bis vor zwei Monaten war das die Adresse der Abteilung Tourismus gewesen – die inzwischen geschlossen war. War sie wiedereröffnet worden? War Dennis Chaudhury etwa ein neuer Tourist? Das konnte er sich nicht vorstellen. Praktisch niemand hatte sich für eine Fortsetzung der Abteilung ausgesprochen, und ihr Ende war mit allgemeiner Schadenfreude begrüßt worden. Vermutlich hatte das Gebäude einen neuen Nutzer
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