Die Spinne (German Edition)
gefunden. »Hat diese Sektion auch einen Namen?«
»Selbstverständlich, Mr. Weaver.« Rollins’ Stimme hatte sich verändert, sie klang entspannt, und der Akzent trat jetzt klarer hervor. Als hätte er ein Stück seines Geheimnisses preisgegeben und wäre nun bereit, reinen Tisch zu machen. »Aber ich glaube nicht, dass Sie ihn aussprechen könnten.«
»Versuchen wir’s.«
»Guojia Anquan Bu«, antwortete Stephen Rollins.
Um nicht vom Stuhl zu rutschen, musste sich Milo an der Tischkante abstützen. Guojia Anquan Bu, kurz Guoanbu: das chinesische Ministerium für Staatssicherheit. Nun konnte er auch den Akzent des Mannes zuordnen. Er brachte kein Wort heraus. Schließlich räusperte er sich mühsam. »Wer spricht da?«
»Ich denke, das wissen Sie bereits, Mr. Weaver. Möglicherweise sind Sie jedoch zu stolz, um es zuzugeben.«
In seine Hand kroch die Angst als Erstes. In einer Art Schutzreaktion zog sie das Telefon weg vom Ohr, und der Daumen streckte sich über das Tastenfeld, um auszuschalten. Gerade noch rechtzeitig bremste er sich und stellte eine Frage. »Was wollen Sie?«
Xin Zhu erklärte es ihm. »Mr. Chaudhury ist der Meinung, dass Sie nicht mehr über Alan Drummonds Pläne wissen, als Sie ihm erzählt haben, aber ich habe da meine Zweifel. Deshalb habe ich ihn gebeten, Ihnen meine Telefonnummer zu geben. Ich war mir sicher, dass Sie irgendwann anrufen.«
Milo erinnerte sich an Chaudhurys Worte: Ich dachte nur, Sie möchten lieber nicht auf dem Radarschirm meines Chefs landen.
Sein Mund war so trocken, dass ihm beim Sprechen die Kehle brannte. »Ich weiß tatsächlich nicht mehr.«
»Und was ist mit Leticia Jones? Sie weiß auf jeden Fall mehr als wir beide.«
»Sie hat mir nichts verraten.«
»Auf dem Weg zu dem Treffen mit Ihnen hat sie einen meiner Mitarbeiter bewusstlos geschlagen. Offenbar weiß sie genug, um dafür zu sorgen, dass niemand zuhört. Was hat sie Ihnen mitgeteilt?«
»Dass sie Ihnen Schaden zufügen wollen.«
Pause. »Wie?«
»Das hat sie mir nicht erzählt, weil ich nicht bei der Sache mitmache.«
»Aber sie würde es Ihnen erzählen, wenn Sie mitmachen würden.«
Milo sagte nichts. Es gab nichts zu sagen.
»Ich möchte Ihnen einen Vorschlag unterbreiten, Mr. Weaver. In der Vergangenheit haben Sie einmal Ihre Bewunderung für meine Arbeit kundgetan: Jetzt haben Sie die Gelegenheit, persönlich daran mitzuwirken.«
Tatsächlich hatte sich Milo einmal in dieser Richtung geäußert, aber in einem kleinen, vertrauten Kreis. Er versuchte sich zu erinnern, ob seine Bemerkung im Beisein von James Pearson gefallen war, der später als Xin Zhus Maulwurf enttarnt wurde, aber er konnte sich nicht konzentrieren. »Das waren Hirngespinste. Die habe ich inzwischen hinter mir.«
Der chinesische Oberst gab ein Geräusch von sich, ein Schnaufen oder Lachen, und Milo bemerkte ein schwaches digitales Echo, wie es manchmal bei transatlantischen Telefonaten auftritt. »Sie müssen meine Position verstehen«, bemerkte Xin Zhu. »Ich sitze hier und versuche, nach bestem Wissen und Gewissen meine Arbeit zu machen, aber dann muss ich zu meinem Bedauern erfahren, dass mir jemand Schaden zufügen will. Und nicht nur mir, sondern auch meinem Land – der Sicherheit meines Landes. Wie würden Sie an meiner Stelle handeln?«
Milo schenkte sich die Antwort.
»Sie würden genauso handeln wie ich. Sie würden versuchen herauszufinden, wer Ihnen Schaden zufügen will und wie.«
»Nicht warum?«
»Den Grund kenne ich. Alle Amerikaner sind besessen von Rache.«
»Das ist jetzt ein Witz, oder?«
»Meinen Sie?«
» Sie haben dreiunddreißig Menschen liquidiert, um den Tod Ihres Sohnes zu rächen. Das zeugt von einer erschreckenden Rachsucht.«
»Dass Amerikaner von Rache besessen sind, heißt nicht, dass ich es nicht bin. Das eine stellt keinen Widerspruch zum anderen dar.«
Milo stand auf und schüttelte das Bein aus, um das Kribbeln dort zu lindern. »Was meint Alan Drummond dazu? Er ist doch garantiert bei Ihnen.«
»Wenn es nur so wäre«, sagte Xin Zhu. »Und bei Ms. Jones ist er auch nicht?«
»Vielleicht ist er tot.«
»An diese Möglichkeit glauben wir wohl beide nicht. Zumindest Ihr Vater zieht sie anscheinend nicht in Betracht.«
Milo überlegte fieberhaft, ob sie ihn oder Jewgeni beschattet hatten. Oder hatten sie einfach die SMS seines Vaters mit der Einladung zum Mittagessen gelesen? Auf diese Weise hätten sie einen ganzen Tag Zeit gehabt, den Tisch im Byblos mit Wanzen zu
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