Die Spionin im Kurbad
Verstand aus und achten nicht auf die anderen Anzeichen, nicht wahr? Und wenn man sich ein Bild nur aus dem macht, was man hört und sieht, und das auch noch mit schlechten Augen und schlechten Ohren, dann bekommt man keinen Gesamteindruck.«
» So ist es. Aber er sagt auch, das sei nur so eine Theorie. Weil nämlich Altea Bisconti nicht mochte. Aber vielleicht hätten die sich damals gestritten, oder er hat ihr das Geld nicht gegeben, das er für die Pläne bekommen hat, oder so.«
Was wieder ein anderes Licht auf Alteas Armut warf. Dennoch, ich konnte es nicht glauben. Darum gab ich den Vermutungen eine andere Wendung.
» Ich glaube, Vincent war nicht nur hinter Bisconti her, sondern auch hinter einem Luigi.«
Ich berichtete Bouchon von der Frau, die in die Lahn springen wollte, und fragte ihn nach diesen Lichtbildern aus.
» Oh ja, davon hat er einige.«
» Können wir uns die ansehen?«
» Die sind in seinem Zimmer.«
» Und wo ist das?«
» Nebenan. Aber da kommen wir nicht rein. Der Freiherr hat doch die Tür zugemacht.«
In manchen Dingen war Bouchon zwar wirklich bewandert. Das Menschenleben kannte er gut, aber da er noch nie so recht auf sich gestellt war, entgingen ihm so einige Möglichkeiten.
Ich schlenderte zum Wohnraum, wo noch immer ein leichter Luftzug die Gardine blähte. Wir waren hier recht weit oben, und als ich durch die Fenstertür trat, hatte ich einen unerwartet schönen Blick über die Lahn, die Brücke zur anderen Seite, Kathys Revier im Haus Panorama und all die Menschen, die unten flanierten. Vor allem aber hatte ich einen Blick auf die beiden anderen Balkone, die sich rechts und links von mir befanden. Zwischen ihnen neigte sich schwach das graue Schieferdach. Ein Katzenkinderspiel, über das Geländer, über die Schindeln und dann auf den anderen Balkon zu kommen.
Bouchon stand hinter mir.
» Was willst du machen, Sina?«
» In Vincents Zimmer gehen. Rechts oder links?«
» Ähm – das kannst du nicht.«
» Doch. Zwei Hüpfer. Überhaupt kein Problem.«
» A… aber das ist so tief, d… da unten.«
» Bouchon!«
» Mir … mir wird ganz schwummerig! Nur so beim Gucken.«
Kater mit Höhenangst! Oh Mann.
» Brauchst ja nicht mitzukommen. Welche Seite?«
» L… links.«
Ich schlappte ihm über die samtig schwarze Nase, die beinahe grün geworden war.
» Geh zurück in deinen Korb, und mach dir keine Sorgen. Ich komme schon zurecht.«
» Aber wenn du runterfällst?«
» Ich falle nicht. Geh rein.«
Aber er blieb auf dem Balkon sitzen und sah mir zu, wie ich mich vom Geländer über die Dachtraufe auf den anderen Balkon begab. Netterweise war auch dieses Fenster offen, und ich schlüpfte in ein ähnlich vollgestelltes Zimmer wie das des Freiherrn, nur dass hier das Bett mit drinstand. Das lockte zwar einladend zum Schlummern, aber wichtiger waren mir die Dinge, die auf dem Tisch an der Wand lagen. Papiere hatten sich hier aufgestapelt, und ich machte mich daran, sie durchzuwühlen. Eine flinke Kralle hatte ich, und schon bald lag alles ausgebreitet auf dem Boden, und ich konnte es mir in Muße ansehen. Viel war nur mit unterschiedlichen Handschriften bedeckt. Zu ihrer Lautsprache hatten die Menschen auch eine Krakelsprache entwickelt, die rudimentär unseren Markierungen entsprach. Mit der verständigten sie sich über einige Entfernung hin. Diese Blätter interessierten mich nicht. Ich suchte Bilder. Abbilder von Menschen.
Er hatte einige davon. Heiligenbildchen waren aber nicht dabei.
Eines zeigte ihn selbst, jünger, aufgeputzt mit Tressen und Klimbim auf einem Pferd. Sehr stattlich! Ein anderes zeigte ihn mit einer älteren Dame. Sie sah ihm verblüffend ähnlich um die Nase. Ich wühlte noch etwas weiter und fand tatsächlich eines mit Biscontis Gesicht. Mit allen Sinnen begutachtete ich es. Meine Nase brachte mich drauf – dieser feine Geruch von Tabakrauch und Vincent selbst verstärkten meine Vermutung, dass er es noch vor Kurzem an seinem Körper getragen hatte. Sollte es dasjenige sein, das er in der Nacht der Frau auf der Brücke gezeigt hatte?
Zur Kontrolle beschnüffelte ich auch die anderen. Sie rochen jedoch lediglich nach Papier.
So war das also – Bisconti war auch als Luigi bekannt.
Ich hüpfte noch einmal auf den Sekretär, um weitere Nachforschungen anzustellen. Bisher hatte ich nur die losen Blätter nach unten geworfen, aber es lag auch noch eine Ledermappe dort. Es bereitete mir nur geringe Mühe, sie aufzuklappen.
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