Die Spionin im Kurbad
der Abend dämmerte. Während meines erholsamen Dösens hatten sich einige Wellen in mir geglättet, und ich war wieder einigermaßen mit mir im Reinen. Außerdem hatte ich eine vage Idee entwickelt, wie ich die Angelegenheiten der Menschen, die ich nun zu den meinen gemacht hatte, in Bewegung bringen konnte. Ein erster Schritt dazu war es, dass ich endlich einmal Alteas Räume aufsuchte. Sie war mit Mama und dem General zum Speisen gegangen, was ich als günstige Gelegenheit wertete. Nicht, dass Altea mir den Zutritt zu ihrer Wohnung verwehrt hätte. Aber ungestört stöbern konnte ich so bestimmt besser. Und mühelos auf Bäume klettern zu können war ebenfalls von Vorteil. Der knorrige Birnbaum bot sich geradezu an. Seine Äste reichten bis fast an die Dachtraufe, und von der Dachtraufe aus kam man recht einfach zu den Gauben, und in der Gaube standen die Fenster offen.
Nichts wie rauf also.
Ein Satz, und ich war auf dem Dach, ein wenig das Gleichgewicht aussteuern, und ich erreichte das Fensterbrett. Die Gardine – weiß und flatterig – mit der Nase zur Seite schieben, und schon hatte ich einen Überblick über das Zimmer.
Klein, mit schrägen Wänden, daran eine Blumentapete, die nach künstlerischen Gesichtspunkten vermutlich als kitschig durchgehen konnte, denn die kleinen Sträußchen waren so was von rosa. Der Rest war eher karg – also gemessen an den Räumen, die der Freiherr bewohnte, konnte man die Einrichtung tatsächlich nur ärmlich nennen. Ein Bett, dessen Holz zerkratzt war, ein wackeliges Tischchen, ein Schrank, dessen Türen altersmüde in den Angeln hingen, ein Paravent, dessen verblichener Bezug einst auch rosa gewesen war. Dahinter Waschgeschirr aus grobem Steinzeug. Aber es roch nach Flieder und Maiblumen und Lavendel. Über einem Stuhl lag das grau-weiße Kleid, zwei Paar Schuhe standen unter dem Bett – auch hier Wollmäuse, die die Wirtin wohl nicht zu jagen wagte –, und ein Umhang hing an einem Haken an der Wand. So weit alles unverdächtiges Menschenzeug, wie ich es von Altea erwartet hatte. Neugierig machte mich das Schreibzeug auf dem Tischchen. Hob sie auch Briefe auf?
Ich sprang auf den Hocker und besah mir das Papier. Es war das Heft, das Altea auch häufig im Garten bei sich hatte. Keine losen Seiten, sondern eingebundene. Sie waren eng beschriftet und hier und da mit kleinen Skizzen versehen. Hach, eine von mir und meinen Kindern. Eine von einem zornigen Eselchen. Und ein vertrocknetes vierblättriges Kleeblatt. Die sind selten, und wir Katzen wissen, dass es eine gewisse Bedeutung hat, wenn man sie findet.
Wusste Altea das auch?
Ich wollte eben weiter in dem Heft schnüffeln, als sich der Schlüssel in der Tür leise drehte.
Altea?
Nein – Rosen und brünstiger Hirsch! Olga.
Ich nichts wie rauf auf den Schrank. Platt hinter den staubigen Aufsatz gedrückt.
Was wollte die denn hier?
Stöbern, wie es aussah! Und zwar ausgesprochen gründlich. Ich war froh, dass sie nur in den Schrank und nicht obendrauf guckte. Als sie das Heft durchblätterte, lachte sie einmal spöttisch auf. Aber ansonsten wirkte sie konzentriert und einigermaßen enttäuscht. Sie verschwand, ohne besondere Spuren zu hinterlassen. Außer ihrem Geruch eben. Ich hörte sie nebenan die Tür öffnen. Offensichtlich durchstöberte sie auch Mamas Zimmer.
Ich konnte mir denken, was sie suchte!
Das Döschen.
Na, das würde sie nicht finden.
Aber warum, warum nur? Was wollte sie damit? Wenn das Gift darin gewesen war, dann sollte sie froh sein, dass sie es los war.
Oder ob sich etwas anderes darin befunden hatte?
Ich könnte es ausgraben.
Ach nein, besser nicht.
Wie auch immer, ich machte noch eine Runde durch den Raum, der Besuch hatte mir, außer Olgas Eindringen – keine weiteren Erkenntnisse über Altea vermittelt. Aber auch das war eine Erkenntnis: Sie hatte nichts zu verbergen.
Auf demselben Weg, den ich gekommen war, hüpfte ich wieder nach draußen.
Es war dunkel geworden, Zeit für die Kontrolle meines Reviers.
Es war alles in Ordnung – eine sehr junge, sehr engagierte Markierung fand ich am Gartenmäuerchen des Photographen Tigerstroem. Ich setzte einen kleinen Gruß daneben. Filou hatte seine Aufgabe in Angriff genommen. Dann runter zum Fluss, meine Parkbank – jetzt meine, da ich mich mit Bouchon hier schon öfter getroffen hatte – mit meinem Besitzanspruch gekennzeichnet und ein bisschen am Ufer entlanggetrödelt. Es fanden sich zwei unvorsichtige Mäuse. War auch wieder
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