Die Spionin im Kurbad
in ihrer Begleitung traute ich mich das. Es würde meinen Horizont erweitern. Von dieser Menschenansiedlung hatte ich bisher hauptsächlich die Gärten, die Parks und die Promenade kennengelernt.
Ich schloss mich ihr also an, und sie ging langsamer, sodass ich ihren schwingenden Röcken – heute trug sie wieder das hübsche grauweiß gestreifte Kleid – folgen konnte.
Die Straße war breit und von einer weit anderen Art von Menschen belebt als die beschaulichen Wandelwege. Hier liefen Dienstleute, Gepäckträger, Haushälterinnen und Wäscherinnen lang, die eilig oder trödelig ihren Aufgaben nachgingen. Die Häuser standen dicht beieinander, die meisten hatten die bunten Markisen über ihren Eingängen vorgezogen, denn schon brannte die Sonne die Pfützen der Nacht leer. Nicht nur Kutschen oder Equipagen rollten vorbei, sondern auch Frachtkarren mit Fässern und Säcken beladen. Ich hielt mich sehr dicht an Alteas Röcke. Nicht alle Häuser waren Pensionen. Geschäfte zeigten ihre Auslagen, und hier und da blieb Altea stehen, um einen Blick in die Fenster zu werfen. Einmal zog sie aus ihrem Korb den Umschlag heraus und zählte, was darin war. Dann warf sie einen traurigen Blick auf den Hut, der hinter der Scheibe hellgelb schimmerte, und schüttelte den Kopf.
» Besser nicht, Sina. Wir brauchen es für Futter, nicht wahr?«
Damit war ich sehr einverstanden. Hüte konnte man nicht essen. Aber vermutlich hätte sie ihn gerne aufgesetzt.
Eine Bäckerei hingegen betrat sie – ich machte mich so lange ganz klein an der Mauer, um ja nicht aufzufallen. Unsichtbarmachen war eine Kunst, die ich recht gut beherrschte, und hier kam mir mein scheckiges Fell auch zugute. Als sie herauskam, schaute die Ecke einer Tüte mit süß riechendem Zeug aus dem Korb.
» Wecken und Kekse. Und für dich holen wir gleich noch eine Wurst. Aber du bist schon wieder ganz gut beieinander, Sina. Und deine Kinder gedeihen auch.«
» Mau!«
Wenige Schritte weiter blieb Altea stehen, um in das Fenster eines Hauses zu schauen. Ich hüpfte auf den Sims, um ebenfalls zu gucken, was es hier gab. Es wurden Bilder gezeigt. Ablichtungen, wie ich gelernt hatte. Doch hier nicht von Menschen, sondern von – hah – genau dieser Straße. Und von der Brücke. Und dem Kurhaus. Und dem Park und allem.
Dann aber hörte ich Altea einen kleinen überraschten Laut ausstoßen.
» Unsere heisere Olga beim Optiker – lässt sie sich jetzt eine Brille anpassen?«
Ich schärfte meinen Blick. Nein, keine Brille. Sie hatte diese Lederrolle in der Hand, die ich unter ihrem Bett gesehen hatte. Sehr seltsam.
Aber schon setzte sich Altea auch wieder in Bewegung. Wir kamen zügig voran, noch einmal betrat Altea einen Laden, und an dieser Stelle kostete es mich schier übernatürliche Überwindung, ihr nicht zu folgen. Dieser Duft. Dieser atemberaubende Duft von Fleisch aller Art.
Die zweite Tüte war angenehm prall gefüllt.
Maus war ja ganz gut, aber Würstchen …
» Nachher, Sina, du kleiner Gierschlund.«
Och.
Wir kamen zügig zum Haus Germania voran, dann aber traten Tigerstroem und Oppen aus ihrer Pension und verwickelten Altea in ein Gespräch. Eine Kutsche rumpelte vorbei, ihre Räder spritzten das Wasser einer Pfütze auf. Es durchnässte mir den Pelz, und ich machte einen fluchtartigen Satz auf die andere Seite, wo mir die Blumenrabatten des Kurparks Schutz boten.
Igitt, Wasser. Und das auch noch schmutzig. Eine ganze Weile hatte ich damit zu tun, es mir weitgehend aus dem Fell zu putzen. Als ich fertig war, war Altea fort.
Ich trabte durch die Begonien, eigentlich auf dem Weg nach Hause, aber dann begegnete ich Alteas Mama mit der violetten Viola. Mama bemerkte mich ebenfalls und sprach mich vertraulich an. Sie war fast so nett wie Altea selbst, also schnurrte ich zurück.
» Streunerkatze! Unmögliche Fellzeichnung!«, bemerkte Viola verächtlich.
» Aber ein zutrauliches, liebes Tierchen und eine treu sorgende Mutter, Frau Viola.«
» Gossenkatzen mögen ja ihre Berechtigung haben, um der Mäuse- und Rattenplagen Herr zu werden, aber als Begleiter der Menschen sind sie doch gänzlich ungeeignet. Verlaust, verwurmt, von Parasiten verseucht. Sehen Sie sich nur dieses ungepflegte Fell an.«
Verdammt, das Schmutzwasser hatte ich doch nicht absichtlich reingeschmiert.
» Sie sieht aus, als wäre sie in eine Pfütze geraten. Normalerweise ist sie ein ganz sauberes Tierchen«, sprang die Gräfin für mich in die Bresche.
Als ob ich das nötig
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