Die Sprache der Macht
eine Frage auf, die zunächst an den Personalvorstand gerichtet war, und stellt sie dem Chef. Der holt tief Luft für eine längere Antwort.
Fragen, die aufwerten, gelten aber nicht nur dem Fachwissen oder dem Urteilsvermögen. Die klassische Frage, die ein Machtgefälle zeigt, lautet: „Was soll ich tun?“ Der Gefragte entscheidet darüber und übt damit Macht aus – gleichgültig, ob diese Frage einer gewissen Ratlosigkeit entspringt oder ob gefragt werden muss , weil der andere in dieser Sache die Verantwortung trägt. In die gleiche Kategorie fällt auch die Frage um Erlaubnis. Hier hat sich der „Untergebene“ bereits eine Lösung zurechtgelegt und trägt damit auch einen Teil der Verantwortung, doch was geschieht, muss letztlich der Hauptverantwortliche entscheiden.
Alle diese Fragen machen einen zu einer wichtigen, eben gefragten Person. An ihr kommt keiner vorbei. Sie muss gar nicht mehr selbst aktiv werden, um ihre Bedeutsamkeit unter Beweis zu stellen. Es sind die anderen, die ihre Fragen an sie herantragen und ihr damit die Führungsrolle übertragen.
Die kniffligen Antworten
Fragen dieser Art sollten mir also hochwillkommen sein, denn sie unterstreichen meine Dominanz. Die Schwierigkeit besteht allein darin, dass ich die Fragen auch beantworten muss. Das ist durchaus keine Lappalie. Je „gefragter“ ich bin, umso mehr muss ich Auskunft geben und mich festlegen. Als Machtmensch werde ich darin eine gewisse Gefahr sehen. Denn wenn Schwierigkeiten auftauchen oder ich mich gar geirrt habe, kann man mir meine Antwort wieder um den Hals hängen: Ich bin dafür verantwortlich, dass ein bestimmtes Projekt schief gegangen ist, dass mein Kunde falsch beraten wurde oder meine Kollegin an einen Betrüger geraten ist. Denn ich habe doch damals geantwortet, dass …
Daraus ergibt sich ein gewisses Dilemma. Einerseits wächst die Macht und Bedeutung einer Person mit der Zahl der Antworten, die sie geben kann. Je konkreter, verständlicher, aber auch verbindlicher ihre Antworten werden, desto stärker wird sie aufgewertet. Das Problem ist eben nur, dass ihre Antworten wieder auf sie zurückfallen können. Darin mögen Sie erst einmal nichts Bedenkliches erblicken. Wenn ich nicht genau Bescheid weiß, dann halte ich eben meinen Mund, sagen Sie sich vielleicht. Die Sache ist nur: Je mehr Macht Ihnen zuwächst, desto weniger können Sie sich darum herummogeln, Antworten zu geben. Sie sind derjenige, der in dieser Sache den Ton angibt, also müssen Sie auch über Dinge Auskunft geben, die Sie nicht bis ins letzte Detail überblicken.
Da hilft es auch nichts, wenn man für die Details „seine Leute“ hat, die sich darum kümmern. Denn diese stehen vor dem gleichen Problem, sie wissen auch nicht alles. Es gibt Widersprüche, abweichende Meinungen und ohnehin allerlei Unwägbarkeiten. Die müssen vereinfacht werden. „Seine Leute“ vereinfachen für den Entscheider, damit er „das Wichtige“ versteht und die richtigen Schlussfolgerungen zieht. Und er vereinfacht noch einmal, wenn er gefragt wird.
Würde er sich für nicht zuständig oder ahnungslos erklären, er hätte offen seine Machtlosigkeit bekannt und sich selbst demontiert. Wenn Sie nun annehmen, dass der Frager die „Ehrlichkeit“ doch eigentlich honorieren müsste, dann täuschen Sie sich gewaltig.
„Weiß ich, was in zwei Jahren ist?“
Ein Medienunternehmen in der Krise. Stellen werden abgebaut, die Arbeitsbedingungen werden schlechter, die Beschäftigten müssen Opfer bringen, wie es heißt. Bei einer Betriebsversammlung will eine Journalistin von dem Geschäftsführer wissen: „Wenn wir wieder einmal die Opfer bringen, können wir uns dann darauf verlassen, dass es das erst mal gewesen ist?“ Der Geschäftsführer zuckt die Achseln. Die Journalistin legt nach: „Zumindest für einen überschaubaren Zeitrahmen. Sagen wir, für zwei Jahre?“ Der Geschäftsführer erklärt: „Heute ist doch alles unsicher. Weiß ich, was in zwei Jahren ist?“ Die Mitarbeiter sind verstört.
Wohlverstanden: Es geht nicht darum, den Fragern falsche Hoffnungen zu machen oder sie in Sicherheit zu wiegen. Der Geschäftsführer aus dem eben genannten Beispiel hätte sehr wohl sagen können: „Nach meiner Einschätzung gehen wir sehr schweren Zeiten entgegen. Und meine Hoffnung ist, dass die heute beschlossenen Einschnitte ausreichen, um uns durch die Krise zu führen. Darum brauchen wir sie jetzt . Und zwar dringend. Denn wenn wir noch länger warten, dann
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