Die Sprache der Macht
spannt den anderen für sich ein. Mit Fragen kann er ihn „löchern“ und ihn mindestens so gut lenken wie durch Anweisungen (→ S. 43, „Das A und O der Dominanz“).
Fragen erfordern eine Antwort. Und der Frager entscheidet, ob die Antwort ausreicht oder überhaupt zu der Frage passt. Ist das nicht der Fall, lautet die dominante Nachfrage: „Würden Sie bitte meine Frage beantworten?“ Der Antwortende fühlt sich noch stärker in die Pflicht genommen. Er ist in der unterlegenen Position. Er muss gehorchen. Tut er das nicht, wird er gerügt: „Sie haben meine Frage noch immer nicht beantwortet.“ Begleitet wird eine solche Bemerkung durch ein missbilligendes Kopfschütteln. Deutlicher lässt sich kaum zum Ausdruck bringen, wer hier die Situation bestimmt.
Doch was ist es eigentlich, das eine dominante Frage von einer Unterlegenheitsfrage unterscheidet? Es ist vor allem die Form, man könnte auch sagen: die Inszenierung der Frage. Das Überraschende ist: Inhaltlich, ja sogar im Wortlaut kann die Frage identisch sein (wenn wir mal von der Sonderform der Frage um Erlaubnis absehen). Aber auch und gerade eine Informationsfrage kann völlig unterschiedlich ausfallen – je nachdem, wie sie intoniert und inszeniert wird. Wenn wir bei unserem Beispiel vom Krisenverlauf bleiben, so können die Experten unterwürfig darum ersucht werden, eine Prognose über das Ende der Krise abzugeben. Der Experte ist derjenige, der die Situation bestimmen soll. Man wertet ihn auf, zum Beispiel indem sein Status hervorgehoben wird. Gleichzeitig blendet sich der Frager selbst aus der Frage völlig aus, er überlässt ihm förmlich die Frage: „Herr Hohenester, fürSie als einen der besten Kenner der Branche, ist denn schon absehbar, wann die Krise endet?“
Bei der dominanten Frage geschieht das Gegenteil: Der Antwortende wird in irgendeiner Weise abgewertet (da gibt es vielfältige, auch sehr subtile Möglichkeiten, wie wir gleich sehen werden). Und der Fragende verschwindet keineswegs hinter seiner Frage, sondern betont seine persönliche Beteiligung: „Herr Hohenester, Sie verdienen Ihre Brötchen doch mit Prognosen. Können Sie mir eigentlich verraten, wann wir aus der Krise herauskommen?“
Den Antwortenden abwerten
Wer eine dominante Frage stellen möchte, muss sich notwendigerweise über dem Antwortenden positionieren. Das kann er einmal tun, indem er seine eigene Stärke betont. Doch weil die Frage an jemanden gerichtet ist, kommt zumeist Methode Nummer zwei zum Einsatz: Der andere wird abgewertet – nicht zu stark, denn sonst erscheint die Frage sinnlos. Er will ja etwas von dem anderen wissen, auch wenn er ihn eingeschüchtert hat. Die Abwertung muss gar nicht im Wortlaut zum Ausdruck kommen. Ein geringschätziger oder leicht ironischer Tonfall genügt, um den gewünschten Effekt zu erzielen: „Herr Hohenester, Sie als einer der besten Kenner der Branche, ist denn schon absehbar, wann die Krise endet?“ Beliebt ist auch die leicht hämische Überhöhung: Die Expertin wird jovial mit „Frau Doktor“ angeredet und hat sie tatsächlich einen Doktortitel, avanciert sie zur „Frau Professor“.
Die Anrede ermöglicht verschiedenste Formen der unterschwelligen Abwertung: etwa, wenn der Befragte ganz freundschaftlich mit seinem Spitznamen angeredet wird oder der Fragende als einziger hartnäckig einen Titel weglässt. Geradezu demütigend wirkt es, wenn er sich offensichtlich nicht auf den Namen besinnen kann. Anstatt taktvoll darüber hinwegzugehen, redet er den anderen beharrlich mit „Herr äh …“ oder „Frau äh …“ an. Oder er benutzt einen ähnlich klingenden Namen, um deutlich zu machen, dass er sich nicht die Mühe macht, sich einen neuen Namen einzuprägen. Daher greift er auf einen anderen zurück, den er immerhin schon kennt – auch wenn es sich dabei um eine andere Person handelt.
Benny Goodmans Pianist
Der legendäre Jazzklarinettist Benny Goodman war ein strenger Orchesterchef. Seinen Pianisten Johnny Guarnieri, der zu den besten seines Fachs zählte, redete er beharrlich mit „Fletcher“ an. Guarnieris Vorgänger war nämlich Fletcher Henderson, den Goodman sehr schätzte. Doch war der Name keineswegs als Auszeichnung gedacht, sondern als Abwertung: Sie verdienen es nicht, dass ich mir Ihren Namen einpräge. Darum nenne ich Sie bei einem falschen Namen – auch um den Abstand zu markieren, der Sie von einem Pianisten trennt, der sich bei mir einen Namen gemacht hat.
Auch mimisch und
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