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Die Sprache des Feuers - Roman

Die Sprache des Feuers - Roman

Titel: Die Sprache des Feuers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Jack einen Diebstahl zur Bearbeitung. In das kleine Haus der einundachtzigjährigen Witwe Olivia Hathaway in Anaheim war eingebrochen worden. Jack suchte sie auf und wurde mit Tee und frischem Gebäck bewirtet.
    Nach zwei Tassen Tee und etlichen Keksen kannte er ihre verzweigte Familiengeschichte und wusste alles über ihre neun Enkel und drei Urenkel, bevor sie auf den Diebstahl zu sprechen kam. Jack hatte an dem Tag zwar noch fünf andere Schäden zu regulieren, aber er fand es ganz in Ordnung, der charmanten alten Dame ein wenig Zeit zu widmen.
    Es stellte sich heraus, dass bei dem Einbruch nur eine Sammlung von Löffeln verschwunden war.
    Klingt absurd, dachte Jack, doch als er aus dem Fenster sah und zwischen der Crystal Cathedral und einer Reklametafel mit gigantischen Micky-Maus-Ohren die Riesennachbildung des Matterhorns mit künstlichem Schnee erblickte, wunderte er sich über gar nichts mehr.
    Olivia Hathaway hatte den Wert der Löffel auf 6000 Dollar schätzen lassen – »Wissen Sie, Jack, ich lebe nicht ewig, und ich muss an mein Testament denken« –, bei diesem Gedanken bekam sie feuchte Augen, denn vier der Löffel waren aus Sterling-Silber, ein Andenken an ihre Urgroßmutter aus dem schottischen Dingwall. Sie entschuldigte sich, um nach einem Papiertaschentuch zu suchen, und als sie wieder hereinkam, fragte sie Jack, ob er ihr helfen könne, die Löffel zu finden.
    Jack erklärte ihr, er sei nicht von der Polizei, werde sich dort zwar den Bericht geben lassen, könne aber leider nichts weiter tun, als den Schaden zu ersetzen.
    Olivia Hathaway verstand.
    Ganz zerknirscht und mitgenommen rief Jack bei der Polizei von Anaheim an und fragte nach dem Bericht, doch der Diensthabende lachte lauthals und legte auf.
    Also tippte er ihren Namen ins zentrale Schadensregister ein und stellte fest, dass die Löffel von Olivia Hathaway schon vierzehnmal »gestohlen« und entschädigt wurden – jedesmal bei einer anderen Versicherung und jedes Jahr einmal. Seit dem Tod von Mr. Hathaway.
    Die Löffel der Olivia Hathaway sind das, was im Versicherungsjargon als »Rentenaufbesserung« bezeichnet wird. Erstaunlich ist nur, dass alle dreizehn Versicherungen den Schaden bezahlt haben.
    Jack ruft bei Fidelity Mutual an, und es stellt sich heraus, dass ein alter Bekannter, Mel Bornstein, den Fall bearbeitet hat.
    »Hast du den Schaden reguliert?«
    »Ja.«
    »Und hast du die vorangegangenen Regulierungen gesehen?«
    »Ja.«
    »Warum hast du dann gezahlt?«
    Bornstein lacht hysterisch und legt auf.
    Jetzt fragt Jack bei den Regulierern Nummer neun, zehn und dreizehn an, und alle brechen in ein ziemlich hysterisches Gelächter aus, bevor sie auflegen.
    Drei lange Jahre später weiß Jack, warum seine Vorgänger anstandslos gezahlt haben. Damals steckte er in einer Klemme: Er war verpflichtet, den Betrug zu melden, die Versicherung zu kündigen und die Regulierung abzulehnen. Aber er brachte es nicht über sich, Olivia Hathaway anzuzeigen und ihrem Schicksal zu überlassen – ohne Versicherungsschutz. Was, wenn es bei ihr brannte? Wenn jemand auf ihrem Gehsteig stürzte und sich verletzte? Wenn es wirklich zu einem Einbruch kam? Also beschloss er, die Regulierung abzulehnen und die ganze Geschichte zu vergessen.
    Zwei Tage nach seinem Ablehnungsbrief erschien sie zum ersten Mal in seinem Büro, und seitdem führen sie etwa alle vierzehn Tage das immergleiche Gespräch. Sie schreibt keine Briefe, sie wendet sich nicht an seine Vorgesetzten, sie beschwert sich nicht beim Ministerium, sie verklagt ihn nicht. Sie kommt einfach immer und immer wieder, und sie führen jedesmal das gleiche Gespräch.
    »Jack, Sie haben versäumt, mir meine gestohlenen Löffel zu ersetzen.«
    »Ich habe es nicht versäumt, Mrs. Hathaway«, erwidert Jack. »Ihre Löffel wurden nicht gestohlen.«
    »Aber natürlich, Jack!«
    »Nun gut, sie wurden vierzehnmal gestohlen.«
    Sie seufzt. »Die Gegend hat sich sehr zu ihrem Nachteil verändert, Jack.«
    »Sie wohnen ganz in der Nähe von Disneyland.«
    Nach dem Motto: Gefahndet wird nach einem mannsgroßen Nagetier mit großen Ohren und weißen Handschuhen, das Löffel bei sich trägt.
    »Ich bestehe darauf, dass Sie mir meine Löffel ersetzen«, sagt Olivia Hathaway.
    »Ihre Löffel sind bereits dreizehnmal ersetzt worden.«
    Jetzt, denkt sie, hat sie ihn: »Aber sie sind vierzehnmal gestohlen worden!«
    »Mrs. Hathaway«, sagt Jack. »Soll ich Ihnen abnehmen, dass die Löffeldiebe die Löffel in

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