Die Sprache des Feuers - Roman
in Tränen erstickt, und widmet sich seinem Surfbrett. Nimmt ein Blatt extrafeines Schmirgelpapier, wickelt es um einen Block und streicht damit die Maserung entlang. Langsam und sanft, mit gleichmäßigem Rhythmus, um dem alten Balsaholz einen samtigen Schliff zu verleihen.
Von oben hört er Letty schluchzen. Schluchzen und schreien und Kissen werfen, und eigentlich wartet er schon auf den Anruf der Eigentümergesellschaft, die ihm erklärt, dass eine Wohnung zum Wohnen da ist und nicht als Trauerkapelle oder Therapiezentrum zweckentfremdet werden darf und dass offene Bekundungen von Trauer eine Ordnungswidrigkeit darstellen.
Nach anderthalb Stunden wird es oben still.
Jack wartet noch zwanzig Minuten, dann geht er nachsehen.
Sie schläft auf seinem Sofa.
Ihre Augen sind geschwollen und jetzt sowieso geschlossen, ihr schwarzes Haar zerwühlt.
Sie hier schlafen zu sehen, macht ihn glücklich und tut ihm weh. Die schlafende Letty, das ist wie ein unterirdisches Feuer, das nur darauf wartet, loszubrechen. Das weiß er noch aus der Zeit, als er morgens aufwachte, sie neben sich liegen sah und nicht glauben konnte, dass etwas so Wunderbares zu ihm gehörte.
Und zwölf Jahre später weiß er, dass er sie immer noch liebt.
Vergiss es, denkt er. Du hast sie über Bord geworfen.
Und nun wird sie vom Ozean an deinen Strand gespült. Das Leben gibt dir etwas zurück, was du nicht verdienst.
Vergiss es, denkt er. Sie ist nicht hier, weil sie dich liebt, sondern weil sie dich braucht.
Weil ihre Schwester bei diesem Brand umgekommen ist.
Er holt eine Decke aus dem Schrank und deckt sie zu.
Was sie ihm erzählt hat, ändert nichts an den Tatsachen. Pam war abhängig von Alkohol und Tabletten. Beides wurde in ihrem Blut nachgewiesen.
Daran ist nicht zu rütteln.
Das einzige, was ihm weiterhelfen kann, ist das Feuer selbst.
41
Feuer spricht seine eigene Sprache.
Kein Wunder, denkt Jack, dass man Flammen mit Zungen vergleicht. Sie können wirklich sprechen. Sie sprechen schon, während sie brennen – die Farbe der Flammen, die Farbe des Rauchs, die Art der Ausbreitung, ihr Geräusch –, und sie hinterlassen eine präzise Beschreibung ihres Werks.
Das Feuer schreibt seine Chronik selbst.
Es ist so verdammt stolz auf sich, denkt Jack, dass es gleich anfängt zu reden, dir alles erzählt, was passiert ist.
Deshalb steht Jack gleich am nächsten Morgen im Schlafzimmer der Vales. In diesem schwarzen Loch, wo es passierte, und er bleibt still stehen, um das Flüstern des Feuers zu hören. Na los, flüstert es, du bist doch so schlau. Lies mich. Ich habe dir alles aufgeschrieben, aber du musst meine Sprache verstehen.
Kein Problem, denkt Jack. Die Sprache des Feuers kenne ich aus dem Effeff.
Fangen wir mit dem Bett an.
Das Bett, sagt Bentley, ist der Brandherd – und genauso sieht es auch aus.
Sie mussten sie von den Sprungfedern kratzen .
Jack spürt den unverkennbaren Geruch verbrannten Fleischs in der Nase. Er sieht das Metall mit den angetrockneten Blutspuren. Die verformten, ineinander verschmolzenen Spiralfedern. Das Feuer muss sehr heiß werden, um so etwas zu bewirken. Diese Sorte Stahl schmilzt erst bei weit über tausend Grad Celsius.
Ich war irre heiß, sagt das Feuer zu ihm. Ich hab sie übel zugerichtet .
Dann das Loch im Dach – infolge einer BLEVE oder Boiling Liquid Expanding Vapour Explosion , wie das bei den Fachleuten heißt, oder Gasexplosion einer expandierenden siedenden Flüssigkeit, auch bekannt als Kamineffekt. Die entzündeten Gase steigen explosionsartig auf und bilden einen Feuerball. Der Feuerball prallt gegen das Dach – und wuuum! Was zwangsläufig voraussetzt, dass dort, wo das Bett steht, etwas Dramatisches passiert ist. Ich war so gewaltig, Jack, dass ich durchs Dach schlagen musste, sagt das Feuer. Dass ich ausbrechen musste, meine Kraft dem Himmel zeigen musste .
Jack sieht die Stelle am Boden, wo Bentley neben der linken Bettkante in der Asche gewühlt hat, und er sieht den Wodkafleck, der sich buchstäblich in die Dielen eingebrannt hat. Daneben ein paar rußig-ölige Scherben, einen Flaschenhals.
Hierauf also hat Bentley seinen Befund gestützt.
Dann hat er aufgehört zu suchen, dieser faule Hund, und ist angeln gefahren.
Also sucht Jack weiter.
Nicht nur, weil er Bentley für einen Schwachkopf hält, nicht nur, weil er mit Letty gesprochen hat, auch, weil es der Gipfel der Faulheit wäre, den Befund des Vorgängers einfach zu übernehmen. Ein fauler Hund schreibt
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