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Die Sprache des Feuers - Roman

Die Sprache des Feuers - Roman

Titel: Die Sprache des Feuers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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lügst!«
    »Ich verspreche es.«
    »Undankbarer! Du lügst!«
    Sie wirft sich schluchzend auf die Couch. Weigert sich, aufzublicken, als er sich verabschieden will. Das Letzte, was er von ihr sieht, ist ihr schlanker weißer Nacken auf dem schwarzen Sofakissen.
    Dann tauchen die Palmen unter ihm auf.
    Er sieht sie aus dem Flugzeug, beim Landeanflug auf Los Angeles, und er denkt: Das ist es!
    Kalifornien.
    Kaum hat er den Terminal verlassen und den glühendheißen Beton betreten, sucht er eine Telefonzelle. Er hat die Nummer von »Brigadier« Tiv Lerner, dem Doppelkreuz-Mann für die USA , Bereich Westküste, und fünfundzwanzig Minuten später setzt ihn das Taxi vor Lerners Haus in Fairfax ab.
    Lerner bittet ihn in das schäbige Wohnzimmer seines schäbigen Hauses und erklärt ihm, während er mehrfach Wodka nachschenkt, dass die Organisazija hier genauso funktioniert wie in der Heimat: Der Pachan herrscht über vier separate »Brigaden«, die von den Brigadieren angeführt werden. Die Brigaden sind in »Zellen« unterteilt, die sich verschiedenen Aufgaben widmen: Kreditwucher, Erpressung, Betrug oder gewöhnlicher Diebstahl. Zu jeder Zelle gehören mehrere Gangster, die die eigentliche Arbeit machen. Neben den Brigaden unterhält der Pachan eine Elitetruppe von Beratern, die seine Arbeit unterstützen, und eine »Sicherheitszelle«, zu der die härtesten Ganoven gehören, zu seinem Schutz.
    »Du fängst ganz unten an«, eröffnet ihm Lerner, »und arbeitest dich hoch. Vom Tellerwäscher zum Millionär.«
    »Klar«, sagt Valeshin.
    »Ich bin dein Brigadier. Du gehörst zu Tratchevs Zelle.«
    »Und was macht die?«
    »Diebstahl«, sagt Lerner. »Du gehst klauen. Die Hälfte von deinem Gewinn geht an Tratchev. Zehn Prozent gehen an den obotschek .«
    In dieser Hinsicht gleichen die Russen den Mormonen. Sie zahlen den Zehnten. Zehn Prozent aller Einnahmen gehen an den obotschek , die Kasse, die jeder Pachan unterhält – für Schmier- und Lösegelder. Technisch betrachtet ist es nicht sein Geld, sondern das der Brigaden – es dient ihrer Sicherheit und ihrem Wohlergehen. Es wird gebraucht, um zu schmieren, was sich schmieren lässt – Polizisten, Anwälte, Richter, Politiker –, und niemand darf das Geld antasten, denn von ihm hängt das Wohl und Wehe der ganzen Organisation ab. Ohne obotschek wäre die Brigade ein steuerloses Boot auf hoher See.
    Valeshin hat also nichts dagegen, die zehn Prozent abzudrücken, aber fünfzig Prozent an Tratchev? Na, das wird er bald ändern. Er weiß, dass der Löwenanteil an Lerner weitergeleitet wird, der wiederum an den Pachan abliefern muss, bei dem der ganze Reichtum zusammenfließt. Denn Reichtum fließt nicht nach unten, sondern immer nach oben. Auch wenn Ronald Reagan das Gegenteil behauptet.
    »Wer ist unser Pachan?«, fragt Valeshin.
    Lerner lächelt. »Das brauchst du nicht zu wissen.«
    Valeshin nickt und denkt sich: Ich weiß es längst, du arrogantes Arschloch. Oberst Karpozow, auch so ein arrogantes Arschloch, hat mir den ganzen Laden schon in Moskau erklärt. Der Pachan heißt Natan Shakalin und war einer der ersten hier.
    Valeshin hat sogar seine Akte gesehen – mit Foto, Strafregister und allem Drum und Dran.
    »Vielleicht lernst du ihn kennen, wenn du Brigadier bist«, sagt Lerner und lacht.
    Das bin ich schneller, als du glaubst, denkt Valeshin.
    Und ich will den Jackpot knacken.
    Am nächsten Nachmittag fängt er als Chauffeur in Lerners Fuhrpark an und macht Fahrten zum Flughafen. »Moment mal, ich hab doch geschworen, keine ehrliche Arbeit anzunehmen«, wendet er kurz ein.
    Doch Lerner lacht. »Werd erwachsen, mein Kleiner.«
    Die Masche geht so, dass Valeshin die Geschäftsleute, die er zum Flughafen fährt, ins Gespräch verwickelt und ausfragt. Ob sie Single sind, allein leben oder Familie haben. Dann bietet er gleich die Rückfahrt an: (»Wann kommen Sie zurück, Mister? Ich kann Sie abholen. Wenn Sie aus dem Flieger steigen, bin ich da – garantiert!«). Garantiert kennt er inzwischen auch ihre Adresse, weiß, ob ihr Haus leersteht, und er gibt die Info an Lerners Leute weiter, die, wie man sich denken kann, das Haus ausräumen.
    Und für Valeshin fällt etwas von der Beute ab.
    Das macht er ein paar Monate mit, aber er weiß, dass die paar Einbrüche die amerikanische Wirtschaft nicht destabilisieren und ihn nicht reich machen. Deshalb holt er sich Lerners Erlaubnis, nachts auf Diebestour zu gehen. Am Tage macht er seine Fuhren, und nachts knackt er

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