Die Sprache des Feuers - Roman
hat, und ihn in eine Arrestzelle werfen. Der alte Tillanin hatte den Wachen schließlich Geld und allerleiSachen zugesteckt, deshalb müssen sie wenigstens so tun, als würden sie den Fall untersuchen – es könnte ja sein, dass einer von Tillanins Muschiks der nächste Boss wird.
Also verbringt Valeshin die nächsten zwei Wochen, obwohl er noch immer hundeelend ist, hungernd und frierend in einer Isolierzelle, hockt in seiner eigenen Scheiße, aber er sagt kein Wort.
Lieber hungert und friert er sich zu Tode, als auch nur ein Sterbenswörtchen zu sagen.
Was ihn aufrechterhält, ist ein ganz bestimmter Traum.
Amerika.
Kalifornien insbesondere.
Als KGB -Mann hat man Privilegien, Valeshin durfte amerikanische Filme sehen, ausländische Zeitschriften lesen, er kennt Kalifornien von Fotos: Palmen und weite Strände, Segelboote, Surfer und schöne Mädchen, die fast nackt in der Sonne liegen, als würden sie nur darauf warten, an Ort und Stelle gevögelt zu werden. Er hat die Sportwagen gesehen, die Autobahnen, die Villen, und das sind die Bilder, die ihn am Leben erhalten.
Zwei Wochen später beschließen die Kerkermeister, dass dem Schein Genüge getan ist. Blind wie ein Maulwurf, nackt und zitternd, hinkt Valeshin in die Massenzelle zurück.
Was schon mal eine Erleichterung ist, wäre da nicht der Wachmann, ein besonders widerlicher Typ aus Gorki, der ihm ankündigt, dass er ihn so oder so zu Tode prügeln wird – langsam, in täglichen Rationen.
»Dagegen hilft nur eins«, erklärt ihm Dani. »Du musst dem Kerl zeigen, dass du mehr wegsteckst, als er austeilen kann.«
Dani erzählt ihm Geschichten aus der Zarenzeit, als es die Organisazija auch schon gab, nur hieß sie da worowski mir – die Welt der Diebe. Damals, erzählt er ihm, waren die Sträflinge noch knallhart. Da sie nichts gegen die Brutalität der Kerkermeister ausrichten konnten, hatten sie nur die Wahl, sie durch ihre Leidensfähigkeit in die Knie zu zwingen.
»Sie haben sich selbst noch größere Schmerzen zugefügt, als es die Wachen konnten«, sagt Dani.
Für Valeshin hat das eine gewisse Logik. In einem Land mit dieser Leidenstradition siegt der, der das Leiden am längsten aushält.
Dani erzählt ihm Geschichten von Sträflingen, die sich das Gesicht mit dem Messer zerschnitten haben, sich die Augenlider und die Lippen zugenäht haben, um die Aufseher zu schocken. Dann die Geschichte von dem Sträfling, der seinen Hodensack an die Werkbank nagelte.
Der Aufseher war beeindruckt.
Dani erzählt Valeshin diese Geschichten, und dann warten sie ab, was passiert.
Und Valeshin wartet darauf, dass die Zellentür aufgeht und der nächste Wachmann hereinkommt. Er borgt sich einen Nagel und den provisorischen Hammer, den es in der Zelle gibt, setzt sich auf die Bank neben der Tür, und als der Wachmann kommt, um ihn zu prügeln, starrt Valeshin ihn an, atmet tief durch und nagelt seine Hand zwischen Daumen und Zeigefinger an die Bank.
Sitzt schwitzend, mit zusammengebissenen Zähnen da und starrt den Wachmann an.
An diesem Abend wird er von Lev und Dani in die wory w zakonje aufgenommen.
Die Brüderschaft der Diebe.
53
Nicht dass es die einzige in der Sowjetunion wäre.
Es gibt um die fünftausend davon, und dreihundert von ihnen haben mindestens so viel kriminelles Kaliber wie die Brüderschaft, zu der Lev und Dani gehören, doch alle unterstehen demselben Verbrecherkodex – dem worowskoi sakon .
Worowskoi sakon – das Gesetz der Diebe – enthält alle Verhaltensregeln, die man von einem Verbrecherkodex erwartet,auch die russische Variante der omertà , des Schweigegebots der Mafia, und wie bei der Mafia gibt es Bosse, die sich treffen, um Streitigkeiten zu schlichten oder Übertretungen zu bestrafen.
Etwas Besonderes hingegen ist das Gelübde, das man sonst nur katholischen Priestern abverlangt. Denn das Gesetz der Diebe verbietet den russischen Ganoven die Heirat. Sie dürfen sich Geliebte halten, Freunde haben, es mit Tieren treiben, wenn ihnen danach ist, aber sie dürfen nicht heiraten.
Ein weiteres, fast jesuitenhaftes Gelübde schreibt ihnen die Reinheit ihres Tun vor, die bedingungslose Ausrichtung aufs Verbrechen.
Diese Statuten lernt Valeshin von Lev und Dani, während sie seine Wunden heilen und ihm zwei neue verpassen. Die eine ist eine Gefängnistätowierung. Mit einer Nadel, mit Tinte und eingeschmuggeltem Wodka brennt ihm Lev ein Doppelkreuz mit zwei Davidssternen in die linke Kniekehle – zum Andenken an die zwei
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