Die Sprache des Feuers - Roman
»Im Aktenkoffer.«
Dr. Benton Howard ist siebenundvierzig Jahre alt und hat eine Medizinerlaufbahn zurückgelegt, die man mit einigem guten Willen als bescheiden bezeichnen kann. Als Vorletzter seines Studiengangs auf Grenada ergatterte er eine Stelle als Assistenzarzt in einer Landklinik in Louisiana und blieb dort, bis er eine eigene Praxis als »Sportmediziner« eröffnete. Ein Großteil seiner Tätigkeit spielte sich jedoch vor Gericht ab. Seine vielen Kunstfehler erforderten teure Verteidiger, und es passierten ihm Missgeschicke, die ihm sehr schadeten, von seinen Patienten ganz zu schweigen. Seitenverkehrte Röntgenaufnahmen etwa führten dazu, dass er das falsche Knie operierte oder ein kerngesundes Fußgelenk ersetzte. Dazu kam die eine oder andere Bandscheiben- OP , die danebenging (aber nur ganz knapp!). Jedenfalls stand Dr. Howard kurz vor dem Bankrott und dem Verlust der Approbation, als sich die Russen für ihn interessierten.
Howard sitzt in seiner Praxis und drückt sich vor einem Gerichtstermin, als ein Russe sein Sprechzimmer betritt und ihm die Spezialisierung auf ein neues Krankheitsgebiet vorschlägt.
Weichteilverletzungen.
Das Wunderbare an Weichteilverletzungen ist, wie Howard sehr bald feststellt, dass er die Patienten nicht sehen oder gar behandeln muss, hat ihm doch gerade Letzteres die meisten Probleme beschert. Nein, Dr. Howard muss sich nur mit Victor ineinem Café treffen, Eistee schlürfen und Diagnosen unterschreiben, Arztberichte, Überweisungen an Chiropraktiker, Massageinstitute, Physiotherapeuten.
Das heißt aber nicht, dass die Patienten seiner Praxis fernbleiben. Nein, sie kommen wirklich, direkt vom Anwalt, setzen sich ins Wartezimmer, blättern in den Magazinen, bis die Schwester sie aufruft, dann gehen sie in ein Behandlungszimmer, wo sie weiterblättern, bis Dr. Howard reinkommt und sie nach Hause schickt. Oder zum Chiropraktiker, zur Massage, zur Physiotherapie.
Seine Konten füllen sich, und seine Probleme lösen sich in Luft auf. Die Prozesse werden beigelegt oder niedergeschlagen, die Inkasso-Firmen nehmen den Finger von der Klingel, seine Frau lässt ihren Anwalt sausen und kommt ins eheliche Bett zurückgekrochen.
Alles wegen der Weichteilverletzungen.
Solange Dr. Howard unterschreibt, dass seine Patienten infolge von Auffahrunfällen an starken Schmerzen und mittlerer bis schwerer Beeinträchtigung leiden, rollt der Rubel.
Er hat kaum Arbeit damit, denn die Berichte sind schon geschrieben, die Fragebögen fertig ausgefüllt, er muss sich nur in irgendeinem obskuren Restaurant auf eine Polsterbank schieben und unterschreiben – bis ihm das Handgelenk wehtut.
So was soll vorkommen. Er geht zu einem echten Arzt und lässt seine Sehnenscheidenentzündung behandeln, weil er so viele Formulare unterschreiben muss.
Wie auch heute wieder. Dani schiebt ihm einen Stapel Papiere hin, und Howard fängt an zu unterschreiben. Die haben ein richtiges System aufgebaut, diese Jungs, ein Fließbandsystem, das Arztberichte auswirft wie eine Kopiermaschine.
Ja, sie sind so schnell (und auch Howard beeilt sich, weil er Danis geruchsstarker Präsenz entkommen will), dass sie ihm auch Arztberichte über sieben Leute unterschieben, die längst tot sind, verbrannt bei einem Unfall mit einem Tanklastzug auf einer Autobahnauffahrt.
Howard merkt es natürlich nicht, auch Dani merkt es nicht, und das könnte sich als kapitaler Fehler erweisen.
Selbst einem Dr. Benton Howard dürfte es schwerfallen zu erklären, warum ein Mann, der nicht nur tot, sondern auch eingeäschert ist, eine Dreimonatsbehandlung mit Nackenmassagen braucht.
64
Jack macht sich auf den Weg nach Laguna Beach.
Die fünfzehn Minuten auf der Küstenstraße nach Norden fährt er besonders gern – eine sanfte Achterbahnfahrt am Rande des Küstenplateaus, vorbei an Dana Strands, Salt Creek Beach, dem Ritz-Carlton, Monarch Bay, dann geht es bergauf, bis sich die Straße bei der Aliso Pier wieder absenkt. Wer dort gegen Abend auf den Aussichtspunkt rausgeht, erlebt einen spektakulären Sonnenuntergang. Nach South Laguna geht es wieder bergauf, die Hotels, Restaurants und Galerien mehren sich, in den Seitenstraßen zum Ozean hinab verstecken sich die teuren Villen.
Nach ein paar Minuten ist er in Laguna Beach.
Angefangen hat Laguna Beach als Künstlerkolonie.
Ein paar Maler und Bildhauer, die in den 1920 er-Jahren aus L . A . geflohen sind, haben die verträumte Bucht entdeckt, den Ozean gemalt und knorrige
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