Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sprache des Feuers - Roman

Die Sprache des Feuers - Roman

Titel: Die Sprache des Feuers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
Vom Netzwerk:
Skulpturen von den Fischern geschnitzt, die damals noch hier lebten.
    Die Künstler hatten es gut getroffen mit Laguna Beach, denn die Gegend ist ein wahrer Traum. Eine sanft geschwungene Küste mit malerischen Klippen und Felsformationen, dahinter das schmale Plateau mit der Stadt, das von grünen, steil ansteigenden Berghängen überragt wird. Und alles getaucht in eine üppige Vegetation mit Palmen, Agaven und vielfarbigen Blütenkaskaden. Von oben betrachtet erinnert Laguna Beach an die bunte Palette eines Malers.
    Hier also ließen sich die Künstler nieder.
    Ab und zu kamen Touristen, kauften ein paar Bilder und Skulpturen, und die Maler bauten Stände unter freiem Himmel auf, wo sie ihre Werke feilbieten konnten, während sie weiter malten und schnitzten.
    Im Verlauf von fünfzig Jahren wurden aus den Ständen Galerien, aus den Restaurants Hotels und aus dem Städtchen ein Touristenmagnet. In den 1980 er-Jahren wurde es vom allgemeinen Bauboom ereilt und von den Yuppies erobert, doch ein Hauch vom alten Charme hat sich erhalten.
    Wenn Südkalifornier den Namen Laguna Beach hören, denken sie noch immer an Maler und Bildhauer, Cafés und Buchhandlungen, Schriftsteller und Dichter, Hare Krishna und Schwule.
    Laguna war mal das Eldorado der südkalifornischen Schwulenbewegung, weshalb (es gibt auch Klischees, die stimmen) die Bedienung in den Restaurants noch heute so gut und freundlich ist und der Zuzug streng geregelt. Dafür hat aber die Stadt eine für die Gegend einmalige Atmosphäre – ein gewisses Lebensgefühl, das Jack sehr schätzt, wie die meisten, die Laguna noch von früher kennen. Und als der Waldbrand durch den Ort raste, brach es ihm fast das Herz.
    Jack machte gerade Urlaub, es war Oktober, die meisten Touristen waren schon weg, aber die Sonne war noch heiß und das Wetter trocken. Wie sich zeigte, war es zu heiß und zu trocken, denn der Wind blies das Feuer über das verdorrte Gras der kahlen Bergrücken über dem Laguna Canyon.
    Jack war gerade auf seinem Brett rausgepaddelt, als er den dünnen Rauchschleier über den Bergen sah, dann kamen die Windböen und trieben das Feuer vor sich her, und das Verrückteste war, dass er das Grasfeuer prasseln hörte, über das Rauschen der Brandung hinweg. Er sah die orangegelbe Flammenwand über dem Bergrücken aufsteigen, dann raste sie den Canyon hinab, und die Feuerwehren rasten ihr entgegen, um dasFeuer zu stoppen, bevor es die Stadt erreichte, aber vom Wasser aus sah er, dass es aussichtslos war, dass die Flammen einfach über die Laguna Canyon Road sprangen, die hinab in die Stadt führt, und den Hang auf der anderen Seite hinauf, als könnte nichts sie aufhalten.
    Wie ein zürnender Gott, dachte Jack, als er sah, wie sich das Feuer den Hang entlang und hinauf fraß, parallel zur Küste, dann auch weiter hinab, direkt aufs Herz der Altstadt zu.
    Und Jack dachte: Warum Laguna? Bei all dem Dreck und dem Ramsch und dem Pfusch, den sie an der Küste hochziehen – warum Laguna? Er paddelte an Land, zog sich an und rannte los, um beim Löschen zu helfen.
    Als es Nacht wurde, war das Feuer unten am Ufer.
    Dann hörte es auf.
    Der Wind drehte und jagte es zurück über die verbrannte Erde.
    Einfach so , dachte Jack. Es hat zugeschlagen und ist verschwunden. Hat sich einfach zurückgezogen. Als hätte sich Gott anders besonnen. Als hätte er uns warnen wollen. Aber wovor? War es ein Vorgeschmack auf die Apokalypse? Ein Ausblick auf die Hölle? Hatte es mit Kalifornien zu tun, California Fire and Life?
    Jack stand bis zu den Knien im Wasser und fragte sich das, während sich die Flammen zurückzogen. Vorgebeugt, nach Atem ringend, zusammen mit Fremden und Surfbuddys, Frauen, die er schon aus der Schule kannte, deutschen Touristen, die es ausgerechnet an dem Tag dorthin verschlagen hatte, mit schwarzen Jugendlichen von den Beachball-Plätzen am Hauptstrand, schwulen Edelgastronomen und ihren Partnern, Millionären, deren Hanglagen nur noch rauchende Trümmer waren, und sie alle standen da wie Soldaten, die einen übermächtigen Feind anrücken und plötzlich die Flucht ergreifen sehen. Aber es gab keinen Jubel, kein Triumphgeschrei, dazu waren alle zu erschöpft, und was Jack von dem Moment in Erinnerung behaltenhat, war vor allem, dass keiner von Verlust redete, von Katastrophe, von Schicksal, sondern alle nur von einem.
    Wiederaufbau.
    Er hörte Sätze wie Wir haben unseren Hund/unsere Katze gerettet – haben unsere Bilder rausgeholt, ein paar Sachen –

Weitere Kostenlose Bücher