Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
vor einem Seitenschiff deuten ein Dutzend flackernde Kerzen daraufhin, dass es andere Besucher gegeben haben muss. Sie wird durch die nuschelnde Stimme des Mannes in der schwarzen Robe in die Wirklichkeit zurückgeholt.
«Gott mit Ihnen, Freiherrin. Bitte folgen Sie mir. Seine Eminenz erwartet Sie bereits.»
Die Freiherrin seufzt erneut. Ihre Gespräche mit dem Oberhaupt der Neo-Westfälischen Kirche haben einen inquisitorischen Zug bekommen, seit sie sich in einem ihrer gelegentlichen Anfälle von spiritueller Unbedachtheit bereitgefunden hat, den Kardinal über die Umtriebe ihres Mannes auf dem Laufenden zu halten, quasi als U-Boot des Herrn im Hafen des Münsteraner Machtzentrums. Eine Entscheidung, deren nachhaltige Konsequenzen ihren im Normalfall eher dürren Glauben immer wieder auf eine harte Probe gestellt hat. Jedoch, es führt kein Weg zurück in die Unschuld. Einmal gelogen und betrogen, immer gelogen und betrogen. Wenigstens wird sie dafür und für andere kleine, aber zahlreiche Verfehlungen – Manus manum lavert – regelmäßig von allen Sünden reingewaschen, und zwar vom Chef persönlich. Resigniert ergibt sie sich in ihr Schicksal und folgt dem schwarzen Mann durch den Mittelgang hoch zum persönlichen Besprechungsraum des Kardinals, einem ausladenden Beichtstuhl, dessen düsteres Äußeres mit seinen Massen von irren Schnitzereien der Freiherrin jedes Mal das Gefühl gibt, sie würde das Raumschiff eines Außerirdischen betreten.
Kaum, dass sie auf der schmalen, harten Bank der notorischen Sünder Platz genommen hat, wird auch schon die Verbindungstür zur Abteilung des Beichtvaters aufgeschoben. Man hat sie augenscheinlich bereits erwartet, aber woher wusste man, dass sie kommen würde, ja, dass sie überhaupt in der Gegend war? Gottes Allgegenwart, Spione, elektronische Überwachung. Möglich wäre alles. Aus pragmatischen Gründen entscheidet sie sich für die göttliche Allgegenwärtigkeit.
«Hallo, Constanze, wie schön dich zu sehen», wird sie herzlich begrüßt.
«Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Eure Eminenz.»
«Aber, aber. Warum so förmlich? Wir sind hier doch ganz unter uns. Sozusagen nur uns selbst verpflichtet – und dem Herrn natürlich. Aber der hat sicher nichts dagegen, dass wir uns – nun ja, ich möchte mal sagen – besser kennen.»
Die Stimme des Kardinals hat ein klebriges Timbre angenommen, gar nicht vergleichbar mit dem schneidenden Organ, das für seine bekannt scharfen Predigten herhalten muss, und das die Herde seiner reichen Schafe jedes Mal aufs Neue zurück in den Sumpf bußfertiger Selbstaufgabe und unreflektierter Großherzigkeit treibt. Tatsächlich versteht er es, den Münsteraner Besserverdienenden, die bekanntermaßen schon immer Igel in der Tasche hatten, regelmäßig größere Beträge abzupredigen. Ein Talent, das dazu geführt hat, dass man gemeindeintern nicht mehr vom Klingel beutel spricht, sondern vom Klingel sack .
«Na ja, äh, Rolf. Ich kann mich so schlecht daran gewöhnen, Eure, ich meine, deine Stellung, ist, äh, …»
Obwohl sie als Würdenträgerin der säkularen Welt im Allgemeinen und als Privatspionin im Speziellen auf gewissen Privilegien bestehen darf, muss sie doch ständig an die Erzählungen ihrer Freundinnen denken, die davon berichten, dass Seine Eminenz die Klappe des Beichtstuhls regelmäßig als klerikales Glory Hole zweckentfremdet und den speziell weiblichen Beichtkindern als Buße die Digestion seines angeblich stark nach Weihrauch schmeckenden Spermas aufbürdet. Schon beim bloßen Gedanken daran bekommt die Freiherrin einen trockenen Mund.
«Nun ja, äh, Rolf, äh, Vater, ich habe gesündigt und …»
«Na, das will ich doch stark hoffen», kommt es launig zurück, «normalerweise höre ich mir die Geschichten ja auch gerne an, aber heute …», seine Stimme ist plötzlich bar aller öligen Untertöne, als er fortfährt, «… habe ich ein anderes, nun ja, Anliegen.» Der Kardinal macht eine routinemäßige Spannungspause. Lieb gewordene Gewohnheiten lassen sich nun mal schlecht ablegen. «Tja, Constanze, ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll … Nun ja, mir ist zu Ohren gekommen … Also, du weißt ja, wie sehr ich deinen Mann schätze … aber, äh, es sind mir Gerüchte zu Ohren gekommen, Gerüchte, die du sicherlich entkräften kannst, hoffe ich, also Gerüchte, die besagen …»
Die Freiherrin von der Hohen Ward ist irritiert. Auf diesen angeblichen Gerüchten reitet der fromme Rolf schon seit
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