Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
mehrere Ebenen unter Ground Zero geben. Teilweise ein alter Luftschutzbunker aus wer weiß welchen Zeiten. Es soll sogar so etwas wie Katakomben haben. Stammen angeblich aus der Zeit der Wiedertäufer, als Bernt Knipperdollinck und Jan van Leiden sich vor den Folterfacharbeitern des Bischofs in Sicherheit bringen wollten. Wir besichern die Anlage aber nur von außen. Drinnen haben wir nichts zu suchen. Ausnahmen bestätigen die Regel.»
«Ausnahmen bestätigen die Regel. Bis nur noch Ausnahmen da sind, und dann gibt es keine Regeln mehr.»
«Verschon mich mit deinem basisdemokratischen Blödsinn. Sag mir lieber, wo es hingehen soll.»
«In die, äh, Eisfabrik.»
«Die Eisfabrik? – Du warst schon immer ein schräger Fürst, aber das geht jetzt ein bisschen weit. Was soll das? Eisfabrik?»
Die Frage ist berechtigt. Carsten weiß auch nicht, ob Mandy schon deliriert hat oder ob die Sache einen nahrhaften Kern umschließt. Mandy ist sicher schwerkrank, aber auf keinen Fall schwerdoof. Zumindest das weiß Carsten über seine mysteriöse Freundin. Schlussendlich hilft nur die Flucht nach vorn.
«Laber nicht und gib Gas. Wenn du brav bist, spendiere ich dir zwei Kugeln mit Sahne.»
lviii Die unwillige Spionin
Müde und erschöpft von einem unlängst ausgebrochenen und wieder verebbten Kaufrauschanfall schleppt sich Freiherrin von der Hohen Ward den verwüsteten Prinzipalmarkt hinauf Richtung Lambertikirche. Scheußlich, was dieses alte Monster Münsters guter Stube angetan hat. Zwei ihrer Lieblingsboutiquen haben quasi aufgehört zu atmen. Es steht in den Sternen, ob es jemals gelingen wird, sie zu reanimieren. Die Alternativen sind unendlich trostlos, eine Bude auf der Rothenburg, die recycelte Prêt-à-porter-Fummel unter die Leute bringt, und ein paar Pseudo-Nobelketten unten am Spiekerhof. Nicht das Rechte für die Grand Dame des Münsteraner Landadels. Seufzend quält sich die Freiherrin an einer schlampig gesicherten Dauerbaustelle vorbei, umrundet die Reste der Fassade des altehrwürdigen Schnitzler-Hauses und erreicht die wieder weitgehend freigeräumte Fläche des Lambertikirchplatzes. Das Münsteraner Wetter ist seinem Ruf treu geblieben. Lange Fäden nasskalten Wassers fallen gallonenweise aus tiefhängenden, betonfarbenen Wolken und überziehen alles mit einer Schicht triefender Trostlosigkeit. Freiherrin von der Hohen Ward rafft den Kragen ihrer reich dekorierten Versace-Regenjacke am Hals zusammen. Obwohl ihr Kopf durch die ausladende Kapuze vor den herabziehenden Wassermassen geschützt wird, ist von ihrer kunstvoll gewickelten blonden Mähne nur noch ein klammer Feudel übrig. Ihr ist elend zumute. Gerade als sie die Treppe, die zum Hauptportal der Kirche hinaufführt, passiert, öffnet sich einer der mächtigen Türflügel und ein Kegel aus kaltem Licht bricht eine Schneise durch den Regenvorhang und übergießt die Freiherrin, sodass es aussieht, als hätte man in ihrem Innern eine Lampe angeknipst. Sie stockt in der Bewegung und hebt den Kopf. Kaskaden von kaltem Wasser werden ihr von einer plötzlichen Böe ins Gesichts getrieben, ihre großen Babyaugen verengen sich zu schmalen Schlitzen. Lidstrich und Wimperntusche haben vor den Elementen kapituliert, laufen in einem breiten schwarzen Strom über die Wangen und verleihen ihrem Gesicht den Ausdruck einer reuigen Büßerin. In der offenen Tür steht ein Mann in einem bodenlangen Gewand, die Arme in einer Geste des Willkommens ausgebreitet. Unbewegt und fast schon ein bisschen bedrohlich. Constanze Freiherrin von der Hohen Ward gibt sich innerlich einen Ruck. Seit sie quasi zurück zu Gott fand, hat sie sich schon des Öfteren in die schützende Umarmung der heiligen Katholischen Kirche begeben. Vielleicht ist gerade jetzt der Moment, die Last der letzten Tage im Beichtstuhl abzustreifen und die heiligen Sakramente in Empfang zu nehmen. Sie braucht ihrem Mann ja nichts davon zu erzählen. Sie setzt sich wieder in Bewegung, rudert auf das Licht zu wie ein Fischer, der in stürmischer Nacht das treue Feuer des heimischen Leuchtturms ansteuert.
Kaum, dass die Freiherrin die Stufen erklommen hat, tritt der Mann im Eingang zur Seite und winkt sie mit einer bedächtigen, ausladenden Bewegung seines Arms hinein in das düstere Kirchenschiff. Unwillkürlich schaudernd wirft sie einen Blick auf den dunklen Schatten der freischwebenden Orgel, die wie eine große Spinne vor dem Westfenster hängt und auf ihre Opfer wartet. Die Kirche ist menschenleer. Nur
Weitere Kostenlose Bücher