Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
ihres langen Arbeitslebens schon Hunderte von verstockten Schweigern in Plaudertaschen verwandelt hat. Der Rest des Interieurs ist zwar einsatzbereit, wird jedoch – wie die ebenfalls originale Eiserne Jungfrau zum Beispiel – nur selten benutzt, denn diese Gerätschaften hinterlassen in der Regel schwer zu kaschierende Spuren, die – sollte einer der unglücklich Dahingeschiedenen wider Erwarten doch noch einmal auftauchen – aufgrund von Art und Anzahl der Verletzungen bei den Ordnungskräften nur Irritationen hervorrufen würden. Alles ist – obwohl dem Betrachter wohl am ehesten das Dutzend rußender Fackeln an den Wänden auffällt – aufs Allervorteilhafteste indirekt illuminiert, denn der Großinquisitor weiß: Das Auge schmerzt mit. Obwohl auch Gruppentherapien an der Tagesordnung sind, ist die Aufmerksamkeit der Anwesenden heute auf eine einzelne Person gerichtet, die bereits – wenn auch im Stand-by-Modus – auf der Bank fixiert ist. Der wild flackernde Blick des Mannes deutet auf eine lange und harte erste Sitzung hin, aber das muss nichts heißen. Zum Schluss, so viel ist sicher, quasseln sie alle wie eine Talkshow-Moderatorin.
Da die Erfahrung gezeigt hat, dass Vorfreude die schönste Freude ist, pflegt der eigentlichen Befragung zunächst ein charmantes Geplauder vorweg zu gehen, in dessen Verlauf dem unwilligen Interviewpartner Gelegenheit gegeben wird, das Ambiente zu genießen und sich schon einmal ein paar warme Gedanken im Hinblick auf den weiteren Verlauf des Gesprächs zu machen.
Der Großinquisitor wirft einen dezenten Blick in die Akte, die neben einem ranzigen Schädel und ein paar Daumenschrauben auf dem ausladenden Refektoriumstisch liegt, hinter dem er und seine vier Mitarbeiter sitzen. Der Informant wider Willen heißt Heffter, Doktor med. Jochen Heffter um genau zu sein, und schenkte den größten Teil seiner bisherigen beruflichen Aufmerksamkeit einem Projekt, das laut einer Quelle im Präsidium zwar vordergründig eine philantrope medizinische Einrichtung ist, unter dem Deckmäntelchen der «Heile-Heile-Gänschen»-Welt aber eine Giftküche für Terroristen, Weltverbesserer und Atheisten betreibt, möglicherweise sogar Kontakte zu diesen brandgefährlichen Sprengmeistern unterhält. Zeit, der Sache auf den Grund zu gehen.
«Jochen Heffter. Weißt du, warum du hier bist?» Alte Regel Nummer eins: Den Delinquenten duzen, akademische Grade unter den Tisch fallen lassen, Demütigung, Rücksturz in den Zustand gesellschaftlicher Bedeutungslosigkeit. Erwartungsgemäß hüllt sich Heffter in renitentes Schweigen, bäumt sich auf, zerrt ein wenig an den Riemen, kraftlos wie ein alter Tanzbär. Es nützt ihm nichts.
«Jochen Heffter. Dein Schweigen ist zwecklos. Beantworte meine Frage!»
Jochen Heffter dreht den Kopf soweit, dass er den Fragesteller sehen kann, wenn auch nicht gut. In dem Blick, den er ihnen zuwirft, schwimmt eine Mischung aus Wut, Angst und Verständnislosigkeit. Im Wesentlichen aber Angst. Der Großinquisitor muss unwillkürlich lächeln, ein Lächeln, das Heffter allerdings nicht sehen kann, denn sie tragen allesamt umgedrehte Tüten auf dem Kopf, die nur einen gewissen Bereich um Augen und Mund unbedeckt lassen. Kleine stilistische Anleihe bei dem guten alten Ku-Klux-Klan, nicht originalgetreu natürlich, aber visuell sehr wirkungsvoll. Auch die Farbwahl tut ihren Teil. Kein unschuldiges Weiß wie bei den Amerikanern, sondern pestschwarz bei seinen Mitarbeitern, blutrot bei ihm selbst. Wer sich so verkleidet, zeigt seinem Gegenüber, dass er jede Grenze zu überschreiten bereit ist.
«Nun?»
Ohne eine Antwort abzuwarten, gibt er seinem rechts außen sitzenden Mann fürs Grobe ein Zeichen mit dem Kopf. Dieser erhebt sich würdevoll, schreitet zu dem hölzernen Speichenrad am Kopfende des Streckbettes und zieht die Riemen stramm. Es klackert dezent.
«Ich frage dich noch einmal. Was hast du uns zu sagen?»
Obwohl es noch nicht wehtun kann, treten bereits die Sehnen am Hals des Delinquenten hervor, Speichel läuft ihm aus den Mundwinkeln. Natürlich ahnt Heffter nicht, was sie wissen, was sie von ihm wollen, welche Informationen und warum. Der Großinquisitor weiß jedoch, dass eine zu spezielle Fragestellung das Mitteilungsbedürfnis nur unnötig einschränkt, nicht umsonst hat er seine Interviewtechnik im Lauf der vielen Jahre im Beichtstuhl immer weiter verfeinert. Wer zu gezielt fragt, verschenkt Antworten. Eine unnötige und fatale Verschüttung von
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