Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
geraumer Zeit herum, außerdem kann er ihren Mann nicht ausstehen, wünscht ihm einen längeren Zwischenstopp im Fegefeuer an den Hals, eine ernste und schmerzhafte Krankheit, Impotenz, Alzheimer, die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Jedoch – und das spricht zu seinen Gunsten – fühlt er sich neben seinem bischöflichen Stäbchen auch der Kirche verpflichtet und das gibt einen gewissen Bonus. Es geht hier um Gott und nicht um Rolf, das – verdammt noch mal – darf sie nicht vergessen.
«Du meinst die Gralshüter», sagt sie unbewegt. «Du spielst wieder auf diese komische Sekte an.»
«Liebe Constanze, das, was du in deiner gottgegebenen Schlichtheit als komische Sekte bezeichnest, ist die lupenreinste Form von Blasphemie, die man sich vorstellen kann. Diese Leute streben nach Unsterblichkeit. Sie wollen unserem Schöpfer ihre unsterbliche Seele vorenthalten. Nehmen, was ihm gehört. Nur ihm gehört. Und der Kirche natürlich. Du musst verstehen, dass es hier nicht um einen harmlosen Klub von Rittern zu Ehren unseres Herrn geht. Diese Menschen haben sich dem Teufel verschworen. Ach, was sage ich. Das sind keine Menschen, das sind gefallene Engel. Was wird aus Gott, was wird aus der Kirche, wenn es die Angst vor dem Tod nicht mehr gibt? Wenn alles ewig ist. Keine Angst, keine Ehrfurcht. Kein Fegefeuer, keine Buße. Kein Grund, sich zu benehmen. Wir wären weg vom Fenster. Gott wäre weg vom Fenster!» Die Stimme des Kardinals ist kontinuierlich lauter geworden. «Das kannst du doch nicht wollen. Gott und ich haben zweitausend Jahre an diesem Projekt gearbeitet und dann kommen ein paar Ketzer und machen alles kaputt? Nur über MEINE LEICHE!»
Constanze Freiherrin von der Hohen Ward ist wie vor den Kopf gestoßen. Das ist das erste Mal, dass seine Wohlüberheblichkeit in ihrer Gegenwart ungebührlicherweise die Fassung verliert. Warum eigentlich? Warum diese Hysterie? Sie versteht ja auch nicht viel von dem, was dieser unsympathische Professor ständig von sich gibt, aber eins ist klar. Wenn es eine Möglichkeit gibt, den uncharmanten Alterungsprozess ihrer Körperoberfläche, speziell der Zonen um den Mund und unter den Augen, aufzuhalten, dann ist sie dabei. Muss ja nicht für immer sein. Ein paar Jahrhunderte vielleicht. Und dann kann Gott ihre Seele, oder was noch davon übrig geblieben ist, gerne haben. Kunst ist schließlich auch unsterblich. Warum nicht sie. Außerdem hat sie sich nicht um die spirituellen Implikationen der Angelegenheit zu kümmern. Dafür gibt es ja schließlich Angestellte. Wofür werden die eigentlich bezahlt?
«Wofür bezahlen wir euch eigentlich?»
«Wie bitte?»
«Ich meine, irgendjemand wird sicher dafür bezahlen.»
«Bezahlen? Wofür?»
«Na, für die Sünden, für alles!»
Bevor der Kardinal das Gespräch zurück in nahrhafte Gefilde leiten kann, ist Constanze Freiherrin von der Hohen Ward aus dem Beichtstuhl gesprungen und entfleucht.
lix Die heilige Inquisition
Vorsichtig führt Kardinal Rolf Schultheiss das kantige Kristallglas an den Mund, um ein wenig an dem schweren Rotwein, einem 2006er Château Margaux 1er Cru Classé aus Kirchenbeständen, zu nippen. Seine Eminenz führt ein den Umständen entsprechendes, vergleichsweise gottesfürchtiges Leben mit einem ausgeglichenen Verhältnis von Tugenden und Untugenden, das heißt Völlerei ja, aber in Maßen, Unzucht ja, oft und gern, Macht ja, Missbrauch derselben, unbedingt, Eitelkeit, Überheblichkeit, Rücksichtslosigkeit, ja, ja, ja, aber eben alles zum Wohle seines Arbeitgebers, der einzigen und wahren Kirche dieser Welt und damit Gott, seinem obersten Boss, seinem Idol, seinem einzig wahren Freund.
Der Kardinal stellt das Glas zurück auf das verkitschte Beistelltischchen und lässt die Luft aus seinen Lungen entweichen. Das ist das Problem mit privilegierten Gesellschaften. Man kann einfach nicht nur einem Herrn dienen. Einfach unmöglich. Dafür ist das Beziehungsgeflecht von Macht und Einflussnahme zu komplex. Alle wollen alles und davon möglichst viel. Vergessen dabei, wem sie das zu verdanken haben, wer ihre Geschicke auf so meisterhafte Weise leitet, wer über sie wacht, und zwar vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Dieses unablässige Hauen und Stechen, Sticheln, Nörgeln, Heucheln und Hetzen. Ein Hunger, der immer größer wird, der sich nicht lindern lässt. Nach materiellen Gütern, aber auch nach der Legitimität der eigenen Existenz und Handlungsweisen. Steigflug der
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