Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
halbwegs genießbar, vorausgesetzt man steht auf muffiges Odeur. Obwohl die wenigen übereifrigen Energiesparlampen an den Wänden ein – wenn überhaupt – nur spärliches Licht verbreiten, meint man Heerscharen von Aerosolen, Staub und anderen Schwebteilchen durch die Luft treiben zu sehen. Die Wände sind mit unzähligen Graffitis unterschiedlicher Qualität überzogen, von denen sich die meisten mit den Aspekten der Demontage menschlicher Körper beschäftigen und somit ganz und gar keine Erholung für Auge und Geist darstellen. Erkan Ederim fasst in Worte, was Carsten durch den Kopf geht.
«Die waren ja so was von krank hier. Aber ist ja auch ein Krankenhaus, zumindest theoretisch.»
«Weißt du, wo wir hin müssen?»
«Das solltest du eigentlich wissen. Ich bringe euch nur zu den Laboren.»
«Und dann?»
«Was heißt hier: und dann ? Kiss me good bye, das ist dann.»
«Bist du sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind?»
«Du warst noch nie auf dem richtigen Weg.»
«Sag schon. – Nur zu meiner Beruhigung.»
«Warum sollte ich dich beruhigen wollen?»
«Bitte!»
«Du bittest mich um etwas? Das ist ja ganz was Neues.»
Ohne den Kopf zu wenden, stapft Erkan Ederim voran. Dann bleibt er so unvermittelt stehen, dass Carsten ihn beinahe umfährt.
«Weil du so schön bitte, bitte sagen kannst. Kein Mensch weiß genau, was hier alles ist und wo es sein könnte, aber ich habe einen Kumpel in unserem Rechenzentrum eine Verkehrsaktivitätsanalyse von dieser Ecke machen lassen. Wozu bin ich Bulle?»
«Das frage ich mich auch. Und was hat sie ergeben, deine Verkehrsanalyse? Wer hatte Verkehr und mit wem oder was?»
«Wenn ich nicht wüsste, dass du ein perfider, hinterhältiger alter Sack bist, der willens und in der Lage ist, einem armen, unbescholtenen Beamten etwas anzuhängen, hätte ich dich längst schon irgendwo verbuddelt. Aber egal. Was eine Verkehrsaktivitätsanalyse ist, brauche ich dir ja wohl nicht zu erklären. Wir sind hier schließlich nicht in der Volkshochschule. Immerhin: Ich habe den Standort der Labore ausfindig gemacht, hoffe ich zumindest. Jetzt bringe ich dich dorthin, und zwar zur Hintertür. Dann musst du selber klarkommen.»
«Ich frage mich gerade, wie ich überhaupt jemals in meinem Leben ohne dich klarkommen konnte und warum ich das verdient habe.»
Trotz der zur Schau getragenen demonstrativen Unbekümmertheit ist es Carsten eher flau im Magen. Tatsächlich weiß er nicht so recht, wie er klarkommen soll, denn mit dem Betreten des Labors ist nur der erste und kleinste Schritt einer Reise mit unbekanntem Ziel getan. Einer langen Reise. Oder einer ganz kurzen mit einem schmerzhaften Ende. Das Einzige, das von Carstens einstmals reichhaltiger Vorstellungswelt geblieben ist, ist der glühende Wunsch, seiner Angebeteten wieder auf die Beine zu helfen. Koste es, was es wolle – und wenn er dafür bis an sein Lebensende Helmuts stark frequentiertes Indoor-Katzenklo durchharken muss.
Ohne warnende Anzeichen legt Erkan Ederim eine erneute Vollbremsung hin. Diesmal reicht Carstens Reaktionsgeschwindigkeit nicht aus und er knallt derart heftig in seine Vorhut, dass Mandy einen ordentlichen Schlenker nach vorne macht. Aufwachen tut sie jedoch nicht.
«Das wollte ich dir noch mal in aller Deutlichkeit sagen. Diese ständigen Anspielungen, dieses moralinsaure Gequengel an mir und dem, was ich – zugegebenerweise – getan habe und auch noch tue. Ja, auch noch tue. Immer noch. – Du weißt doch gar nicht, wie das ist, wenn man von einem Hungergehalt leben muss, während du dabei beschäftigt bist, die anderen armen Schweine daran zu hindern, den dekadenten Blutsaugern in unserem Städtchen mal gehörig in den Sarg zu pissen. Du und deine Mumien-WG, ihr hockt in eurem Wasserschloss für Kaputte und zeigt mit dem faltigen Finger auf andere Leute. Du musst ja schließlich keine Familie durchbringen!»
«Du auch nicht. Du hast gar keine Familie. Mit dir will keiner verwandt sein. Du hast die ganze Kohle im Puff verjuxt.»
«Na und, weißt du überhaupt, was so was kostet? Und überhaupt – was geht es dich an, was ich mit meiner Kohle mache?»
«Nichts. Ansonsten kann ich mir denken, warum das so teuer ist. Keine Nutte der Welt würde so ein haariges, anatolisches Wildschwein über sich rüber lassen – außer es springt ordentlich Bares dabei raus.»
«Weißt du was, Carsten? Du bist ein altes, rassistisches, eingebildetes Arschloch. Und blöd noch dazu.»
«Immerhin bin ich
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