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Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)

Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)

Titel: Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heiner Wacker
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kein Bulle.»
    Carsten fährt einen gepflegten Halbkreis um Erkan Ederim herum und übernimmt die Führung.
    «He, hier geblieben. Was glaubt ihr, wer ihr seid? Bomber und Paganini, oder was?»
    Carsten lässt sich nicht beirren. Obwohl: Der Vorwurf von Bestechlichkeit und Vorteilsnahme ist tatsächlich nicht mehr ganz zeitgemäß. Die wenigen Staatsbediensteten, die nach der großen Pleite übrig geblieben sind, können von ihren Gehältern nicht leben. Da muss schon noch etwas mehr Butter bei die Fische. Schmierstoff, den man sich nur aus dem Bottich mit den großen Fischen holen kann. Mit einer Mischung aus Wehmut und leichter Verärgerung denkt er an seine eigenen, im Bermudadreieck von Staatsbankrott, Superkapitalismus und Finanzmarktkrise verschollenen Altersbezüge. Ein Leben lang gearbeitet und plötzlich ist alles weg. Einfach weg. Ersetzt durch weniger als nichts. Nach dreißig Nullrunden endlich in den Ruhestand zum Nulltarif. Die einzige Freude, die geblieben ist, speist sich aus der Genugtuung, nun auch keine Steuerbelastung von siebzig Prozent mehr zu haben. Nicht auf die Pension und nicht auf die spärlichen Mücken, die Carsten sich im Garten von seinem Boss zusammenharken muss. Glaubt Carsten zumindest, denn die Vorstellung, dass Freiherr von der Großen Ward für sich oder andere Steuern abführt, erscheint ihm von nur geringer Wahrscheinlichkeit. Andererseits, irgendwer muss ja schließlich den militärischen Apparat bezahlen, der die Stadtfürsten vor dem kleinlichen Unmut der Restbevölkerung schützt. Die Jungs im Kreuzviertel sind es sicher ebenfalls nicht. Carsten knurrt leise. Mit einem Mal sind sie wieder da, all die verpassten Chancen, die kleinen Gemeinheiten, die gebrochenen Versprechen, nicht nur die der Obrigkeit, sondern auch die seines klapprigen Körpers, die späte Liebe, die – kaum erblüht – ohne Sommer und Herbst in die kalte Starre des großen Winters überzugehen droht, Horst, Stangenfieber und Helmut, die Fresskatze. Eine lange, trübe Kette von Fehlschlägen.
    Unvermittelt endet der Gang und mündet in einen düsteren Vorraum zu irgendetwas anderem. Im dumpfen Licht einer einsamen Lampe steht ein Mann in einer Robe mit einer Art Kreuz auf der Brust. Bevor er etwas sagen kann, hat Carsten seinen alten Schießprügel aus dem Netz hinter der Rückenlehne von Mandys Rollstuhl gefischt, entsichert, gezielt und abgedrückt. Der Schuss ist ohrenbetäubend, ein Staccato von Schallreflexionen jagt in beide Richtungen den Gang hinauf und hinunter, wird zum Pumpen eines fernen Presslufthammers und verebbt schließlich. Die Stille nach dem Schuss ist unerträglich. Erkan Ederim hat ebenfalls eine Waffe gezogenen und ist wieselflink an Carsten vorbei geglitten. Nach einem vorsichtigen Blick in die abzweigenden Gänge ist er vor der niedergestreckten Person in die Hocke gegangen. Die Pistole hält er mit abwärts gerichtetem Lauf lässig zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand. Schließlich wendet er den Kopf zu Carsten, seine Stimme ist unnatürlich beherrscht.
    «Du bist ja wohl komplett übergeschnappt. Was sollte das denn?»
    Carsten spürt, wie eine Welle Blut durch seine Großhirnrinde zischt, langsam nimmt er seine Umgebung wieder wahr. Er senkt den Arm mit der Waffe. Die Frage ist berechtigt. Was sollte das eigentlich? Carsten weiß nur noch, wie eine Flut von Wut und Frustration über seinen Verstand gerollt ist und alles Gute, Maßvolle, Sinnhafte mit sich gerissen hat. Dann hatte er plötzlich die Waffe in der Hand. Kimme, Korn, Ziel und Schuss. Mit dem Schießen ist es wie mit dem Schwimmen. Man verlernt es nicht, egal wie lange es her ist. Er sichert die Waffe, steckt sie in den Hosenbund und geht hinüber zu Erkan Ederim und seinem Opfer.
    «Ist von alleine losgegangen. Tut mir leid.» Er schüttelt den Kopf, sodass sein zauseliger Pferdeschwanz hin und her rollt. «Wer ist das? Was sind das für Klamotten? Was wollte der hier?»
    «Wenn du einen Moment gewartet hättest, hätte ich ihn fragen können, was er hier will. Wer das ist, kann ich dir allerdings sagen. Müsstest du aber eigentlich auch wissen.»
    Carsten zwingt sich zu einem zweiten Blick auf den Kopf des Mannes. Die Kugel ist auf der rechten Gesichtshälfte eingeschlagen und hat sowohl beim Ein- wie auch beim Austritt aus dem Kopf eine Menge Schaden angerichtet, was eine Identifikation zwar erschwert, jedoch nicht unmöglich macht. Carsten versucht den roten Schmier mit seinem Blick zu

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