Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
durchdringen.
«Ist das etwa Thomas Theising? Der rote Baron?»
«Der rote Baron? Was soll denn das? Theising ist bekanntermaßen so was von stockkonservativ, da wäre sogar die Bezeichnung schwarzer Baron noch geschmeichelt.»
«Doch nicht wegen seiner politischen Gesinnung. Schwarz wie die Nacht sind die doch alle hier. Nein, Theising ist Hobbypilot. Weiß ich von meinem Chef. Die sind befreundet. Was mag der hier gemacht haben? Darf der überhaupt hier sein?»
«Warum nicht? Piloten ist nichts verboten. Allerdings muss er sich jetzt ein anderes Hobby suchen. Irgendetwas, das man gut im Liegen machen kann. Die dazu passende Kleidung hat er schon an, finde ich.»
Carsten ist erleichtert, dass sein Privatfremdenführer die Angelegenheit mit Thomas Theisings spontanem Ableben gelassen hinzunehmen scheint.
«Und was hat er hier gewollt?»
«Das fragst du mich jetzt zum zweiten Mal. – Ich weiß es nicht.»
«Der ist bestimmt nicht zum Spaß hier.»
«Keiner ist zum Spaß hier. Ich am allerwenigsten.»
lxv Verdichtung und Wahrheit
Vorsichtig schüttelt der Mann in Schwarz seinen massigen Schädel. Dann öffnet er – erst das linke, dann das rechte – vorsichtig seine Augen. Im rechtsseitigen Augapfel muss – wahrscheinlich durch die etwas rüde Behandlung von Erkan Ederim – ein Äderchen geplatzt sein, denn das Weiße um die Iris herum ist tiefrot geworden. Der Mann will sich aufrichten, merkt dann aber, dass seine Arme hinter seinem Rücken fixiert sind. Die daraus resultierenden Unmutsäußerungen werden durch einen breiten Streifen Klebeband, der die Mundpartie des Mannes großzügig bedeckt, mehr oder weniger erstickt.
«Hast du das immer dabei?», fragt Carsten leidlich irritiert.
«Jepp. Was für den Pfadfinder Messer, Frosch und Bindfaden sind, sind für den Kriminalen Knarre, Kabelbinder und Klebeband. So ist man vor unliebsamen Überraschungen und ihren Folgen sicher.»
«Du hast ihm nicht die kleinste Chance gelassen.»
Erkan Ederim schickt Carsten durch die Schlitze in der Maske einen kühlen Blick.
«Das ist kein Völkerballspiel. Raus ist aus. Immerhin habe ich nicht auf ihn geschossen.»
Carsten muss an Theisings leblose Hülle denken, die jetzt passenderweise unter mehreren Lagen alter Westfälischer Nachrichten langsam in Verwesung übergeht, und schluckt einen imaginären Kloß hinunter.
«Nein, hast du nicht.»
«Nein, hab ich nicht. – Und weißt du auch warum?»
«Ein Verwandter von dir?»
Erkan Ederim schenkt Carsten einen Blick von der Art, die psychiatrische Fachärzte normalerweise für ihre renitenten Dauerpatienten reserviert haben.
«Tote reden nicht.»
«Wie auch?»
Erkan Ederim beugt sich vor und reißt dem vor ihnen liegenden Mann mit einer eleganten und kraftvollen Bewegung das Klebeband von der unteren Gesichtshälfte. Teile eines unter die Unterlippe gerutschten Hitlerbärtchens bleiben auf der Klebeseite haften, woraufhin der Mann eine Kaskade übler Beschimpfungen, durchmischt mit unhaltbaren Unterstellungen vom Stapel lässt. Erkan Ederim wartet eine knappe halbe Minute, dann drückt er den Oberkörper des Mannes zurück auf den Boden, fixiert ihn mit seinem rechten Knie und pappt das Klebeband wieder an seinen Ursprungsort. Dann zieht er seine Pistole aus dem Hosenbund, packt sie am Lauf und schlägt mit dem Griff vorsichtig einmal auf die Nasenwurzel des schwarzen Mannes. Dessen Reaktion fällt – wie Carsten findet – unerwartet heftig aus.
«Schön artig sein», sagt Erkan Ederim und macht «Dudu» mit dem Zeigefinger. Erst als er die Hand mit der Waffe erneut hebt, lassen die unkontrollierten Bewegungen des Mannes nach, die unterdrückten Schmerz- und Wutlaute verstummen.
Erkan Ederim greift nach vorn und reißt das Klebeband erneut ab. Das Bärtchen ist verschwunden, an seine Stelle ist ein rosa Viereck getreten. Von den lauten Atemgeräuschen einmal abgesehen, ist der Mann jetzt stumm wie ein Fisch.
«Na, geht doch.» Erkan Ederim greift in seinen Lederblouson und zieht einen Ausweis aus der Innentasche, wedelt kurz damit in der Luft herum und lässt ihn wieder verschwinden.
«Egon Müller, Staatsschutz und Terrorismusbekämpfung. Du hast das Recht zu schweigen. Alles, was du sagst, kann und wird vor Gericht gegen dich verwendet werden. Du hast das Recht, zu jeder Vernehmung einen Verteidiger hinzuzuziehen. Wenn du dir keinen Verteidiger leisten kannst, wird dir einer gestellt.»
Der Mann in Schwarz blickt mit weit aufgerissenen Augen hoch
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