Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
hinterher und folgt ihm kurz darauf in einen hohen runden Raum von etwa fünfzehn Metern Durchmesser. Die Illumination besorgt in diesem Fall ein hübsches Modell des menschlichen DNA-Strangs, das unter der Decke hängt. Die einzelnen Nukleotide bestehen aus unzähligen kleinen Lampen, von denen die farbigen nur eben so vor sich hin leuchten, während die weißen geradezu glühen und die gesamte Doppel-Helix in eine atemberaubende Miniaturgalaxis aus purem Licht verwandeln. Unter der Helix ist ein Kreis aus utopischen, ebenfalls hellgelb gehaltenen Ledermöbeln aufgestellt, die nicht so aussehen, als hätte schon jemals jemand in ihnen gesessen. Die Wände werden von großen, oben abgerundeten Türöffnungen durchbrochen, die meisten dunkel.
Als Carsten sich endlich von der Lichtskulptur lösen kann, fällt sein Blick auf Mandy. Mandys Augen sind geöffnet, sie hat eine Hand erhoben und zeigt auf eine Türöffnung schräg links vor ihnen, aus der ein dunkles, rotes Leuchten zu kommen scheint. Sie sagt nur einziges Wort, bevor sie das Bewusstsein erneut verliert.
«Limbus.»
Carsten packt die Griffe des Rollstuhls und steuert direkt auf die bezeichnete Tür zu. Erkan Ederim schließt auf.
«He, was soll das? Was hat sie gesagt? Was ist Limbus?»
«Woher soll ich wissen, was Limbus ist», sagt Carsten, doch das ist gelogen. Carsten weiß sehr wohl, was der Limbus ist. Der Limbus ist der Ort, an dem er sich seit Weihnachten mehr oder minder aufhält: die Vorhölle.
lxvi Himmel und Hölle
Hölle, Hölle, Hölle. Kardinal Rolf Schultheiss, kirchliches Oberhaupt und Großinquisitor von Münster sitzt in seinem gemütlichen Arbeitszimmer und knabbert an einem bauchigen Cognacschwenker, der noch vor Kurzem eine Magnumportion Cardenal Mendoza Carta Real enthielt, quasi ein Berufskollege in flüssiger Form. Nachdenklich schaut er auf den Kamin, in dem trotz der nun schon wärmeren Nächte ein munteres Feuer prasselt. Die Dinge beginnen vertrackt zu werden, überall tun sich Probleme auf. Probleme, denen man mit dem gewohnten theologischen Werkzeug nicht mehr beikommen kann. Der Kardinal erhebt sich aus seinem mit weichem rotem Leder bezogenen Lieblingssessel – ein Klassiker von Toshiyuki Kita – und schlendert zu einem der drei riesigen Fenster an der Längsseite des Raumes. Gedankenverloren zieht er den schweren, golddurchwirkten Vorhang zurück und wirft einen Blick durch die grünliche Butzenverglasung auf die menschenleere Gasse unter ihm. Die Sprengmeister, was für eine Lachnummer. Denken, dass sie die Welt mit Gewalt nach ihren Vorstellungen umgestalten können. Erpressung, Blut und Gewalt und nichts sonst. Diese Amateure. Schultheiss weiß aus eigener Anschauung, dass ein bisschen mehr als das nötig ist, wenn man Einfluss nehmen will, wirklichen Einfluss, nicht diesen pseudo-demokratischen, rechtsstaatlichen Unsinn, der von verbliebenen staatlichen und halbstaatlichen Institutionen zelebriert wird, schließlich ist er bei der einzigen Firma, die seit mehr als zweitausend Jahren den Kopf über dem Rand der Kloschüssel hat. Mal mehr, mal weniger, aber immer oben. Und jetzt kommen diese Idioten und wollen ihm den Laden zumachen. Was bilden die sich eigentlich ein. Wie soll er seine Kunden bei der Stange halten, wenn sein Verkaufsschlager, die Aussicht auf ein opulentes und sinnenfrohes Leben nach dem Tod zum Ladenhüter wird, weil es keinen Tod mehr gibt. Schultheiss wendet sich ruckartig um und geht mit energischen Schritten hinüber zu einem opulenten Buffetschrank aus der Gründerzeit, der als Bar dient, um sich des weiteren Beistands von seinem Kollegen Mendoza zu versichern. Während die goldene Flüssigkeit zäh wie Sirup in den großen Schwenker perlt, fällt sein Blick auf die üppigen Schnitzereien, die die Oberfläche des Schranks wie ein Relief überziehen. Er setzt die Flasche vorsichtig ab und nimmt einen klitzekleinen Schluck, bevor er sie wieder verschließt und zu ihren Kolleginnen stellt. Das Hauptmotiv zeigt einen Drachen, der sich mit weit aufgerissenem Maul in einem Meer von Flammen windet, die Augen zu Schlitzen verengt, die Klauenfüße in die Luft gestreckt. Im flackernden Licht des Kamins wirkt die Arbeit so lebendig, dass man unwillkürlich einen Schritt zurücktreten möchte. Das hässliche Biest, gefangen in den verzehrenden Flammen des reinigenden Feuers. Sozusagen ein klassisches Motiv seiner Zunft und sehr – inspirierend.
Er trommelt ein wenig mit den Fingern auf der Anrichte
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