Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
hohes Sirren liegt über allem, nicht laut zwar, aber unglaublich nervtötend. Doktor zu Hülshoff hat unbeirrt das ihnen nächstgelegene Tortenstück angesteuert. An der Vorderseite ist eine weitere Druckschleuse in die mehrschichtige Glaswand integriert. Die Mechanik der Schließen liegt außen offen auf dem Glas, Energie- und Datenkabel sind mit einem honigfarbenen Kleber nachlässig auf der gläsernen Oberfläche fixiert worden.
Doktor zu Hülshoff wendet sich an Carsten.
«Also, Herr … äh, Meyer. Die Zusammenhänge sind mir zwar nicht klar, aber ich denke, dass das momentan nichts zur Sache tut.» Seine Stimme ist gefasst. «Eigentlich will ich es auch nicht wissen.»
«Das Einzige, was Sie wissen sollten, ist, dass Sie wissen, was Sie tun.»
Doktor zu Hülshoff schenkt Carsten einen unterkühlten Blick. Die mentale Indisponiertheit scheint verraucht. Der Mann ist jetzt in seinem Element, weiß das und lässt es die Anwesenden spüren. Carsten überlegt, ob er aus Gründen der Gleichstellung im sozialen Ranking ein wenig mit seiner Waffe herumfuchteln soll, entscheidet sich aber dagegen. Verunsicherung macht zwar Spaß, jetzt jedoch sind Kompetenz und Kooperationswille gefragt.
« Ich weiß sehr wohl, was ich tue. Bei Ihnen bin ich mir allerdings nicht so sicher.» Er wendet sich ab und drückt auf ein leuchtend grünes Viereck. Die Schleuse fährt langsam auf.
«Wenn Sie die Güte hätten, mir kurz Ihre Aufmerksamkeit zu schenken? Wie Sie sehen, passt jeweils nur knapp eine Person in die Dekontaminationskammer, deshalb gehe ich zuerst. Wenn sich die Schleuse auf ihrer Seite wieder öffnet, schieben Sie Ihre Frau hinein und starten den Prozess mit dieser Taste. Ich hole sie auf der anderen Seite ab. Dann ist der Nächste dran. Habe ich mich klar ausgedrückt?»
Carsten beschließt, die Äußerungen dieses Paradebeispiels akademischen Dünkels weiterhin zu ignorieren.
«Selbstverständlich, Herr Doktor. Ich konnte Ihren Ausführungen folgen. Zu Teilen zumindest.»
«Welchen Teil haben Sie denn nicht verstanden.»
«Den Teil mit Ihrer urplötzlichen Kooperationsbereitschaft. Das kommt mir Spanisch vor. Andererseits kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie Wert auf nähere Tuchfühlung mit einem der Babys aus diesem MP14 legen.»
Ohne ihn einer weiteren Antwort zu würdigen, betritt Doktor zu Hülshoff die Kammer und drückt auf ein neongelbes Quadrat, woraufhin sich die Schleusentür schließt. Bevor eine Hundertschaft von Düsen die Kammer mit einem milchigen Aerosolcocktail füllt, meint er noch gesehen zu haben, wie die Gesichtshaut des Genforschers wieder eine Spur blasser wurde. Recht so.
Nachdem der Nebel in der Kammer so schnell verschwunden ist, wie er gekommen war, öffnet sich die gegenüberliegende Schleusentür und spuckt den Doktor in das Innere der Glastorte. Scheinbar weiß die Schleuse, ob es etwas zu waschen gibt oder nicht, denn nur eine knappe Minute später fährt die Außentür erneut auf und gibt Carsten Gelegenheit, nunmehr Mandy in die enge Zelle zu verfrachten. Der Rollstuhl ist eindeutig zu ausladend, sodass Carsten sein Mädel mit Erkan Ederims Hilfe vorsichtig aus dem Stuhl hebt und in die Schleuse trägt. Mit angezogenen Beinen halb gegen die Wand gelehnt, passt Mandy gerade so hinein. Carsten drückt auf das gelbe Quadrat und springt zur Seite, woraufhin sich die Kammer wieder schließt. Kurz darauf sinkt der Nebel erneut herab und verwandelt den Inhalt in ein großes Glas Ouzo mit Wasser.
Erkan Ederim steht derweil neben der Kammer und verfolgt aufmerksam, was der Genforscher treibt.
«Du hast schon recht», sagt er, «der Junge ist faul wie meine vorletzte Sekretärin. Kein Widerstand, keine dummen Fragen. Bringt uns einfach hier hin und macht einen auf barmherzigen Samariter. Da stimmt doch etwas nicht.»
Aus dem Verdacht wird schon wenige Augenblicke später traurige Gewissheit, als Doktor zu Hülshoff Mandy gerade so weit aus der Schleuse zieht, dass diese sich nicht schließen kann. Zügig trabt er zu einem Fon an der Wand, wählt und beginnt in den Hörer zu sprechen. Carsten klebt draußen an der Scheibe wie ein Gekko am erleuchteten Schaufenster und spürt, wie die Welle eines Adrenalin-Testosteron-Cocktails durch seine in die Jahre gekommenen Gefäße schießt, eine rote Wolke macht sich hinter seinen Augen breit. Er entsichert das Gewehr und legt an, hat jedoch nicht mit Erkan Ederim gerechnet, der auf ihn zu springt und den Lauf nach unten schlägt.
«Bis
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