Die Springflut: Roman (German Edition)
fragte, ob Mårten Töpfer sei.
»Nein, das sind Mettes Sachen.«
Olivia hatte zu der Tür genickt, hinter der sie kurz zuvor an einem Raum mit einem großen Brennofen vorbeigekommen waren. Sie wandte sich Mårten zu.
»Und was machen Sie beruflich?«
»Ich bin Rentner.«
»Aha, und bevor sie in Rente gegangen sind?«
Stilton und Mette Olsäter standen im Flur, als Mårten und Olivia aus dem Keller kamen. Mette warf Stilton einen kurzen Blick zu, beugte sich ein wenig zu ihm vor und senkte die Stimme.
»Du weißt, dass du immer hier schlafen kannst.«
»Danke.«
»Und denk daran, was ich dir gesagt habe.«
»Worüber?«
»Über Rune Forss. Entweder du oder ich.«
Stilton blieb stumm. Mårten und Olivia traten zu ihnen, und Stilton nickte Mårten zum Abschied zu, bevor er das Haus verließ. Mette umarmte Olivia leicht und flüsterte:
»Danke, dass Sie Tom mitgenommen haben.«
»Er hat eigentlich eher mich mitgenommen.«
»Ohne Sie wäre er jedenfalls niemals hier gewesen.«
Olivia lächelte kurz. Mette gab ihr eine Visitenkarte mit ihrer Telefonnummer. Olivia dankte ihr und folgte Stilton ins Freie. Als Mette die Tür geschlossen hatte, drehte sie sich um und sah Mårten an. Er zog sie an sich, denn er wusste genau, welche Nervenbelastung der Besuch für sie gewesen war. Er strich ihr übers Haar.
»Tom war ansprechbar«, sagte er.
»Ja.«
Im Bus zurück in die Stadt schwiegen beide in Gedanken versunken. Stilton dachte an die Begegnung mit den Olsäters. Seit fast vier Jahren hatten sie sich zum ersten Mal wieder gesehen. Er staunte darüber, wie leicht es gegangen war, wie wenig gesagt werden musste, wie schnell ihm alles ganz natürlich erschienen war.
Der nächste Schritt würde Abbas sein.
Dann dachte er an dieses Gesicht im Spiegel, das nicht seins gewesen war. Es hatte ihn schockiert.
Olivia dachte an das große alte Holzhaus.
An den Keller und an Kerouac. Ist man nicht ein bisschen merkwürdig, wenn man die Gesellschaft einer Spinne sucht? Doch, dachte sie, das ist man definitiv. Oder ist man vielleicht eher originell? Mårten war ein origineller Mensch mit einer faszinierenden Vergangenheit. Im Keller hatte er ihr ein wenig von sich erzählt. Vor seiner Pensionierung war er Kinderpsychologe gewesen. Viele Jahre lang hatte er sich für eine neue Pädagogik eingesetzt und teilweise auch Erfolg gehabt. Darüber hinaus war er lange ein enger Mitarbeiter von Skå-Gustav Jonsson gewesen und an einer Reihe von Projekten für misshandelte Kinder beteiligt gewesen. Außerdem hatte er sich politisch für die Linke engagiert.
Sie mochte Mårten.
Und Mette.
Und ihr seltsam warmes Haus.
»Sie haben sich mit dem Nerz gestritten«, sagte Stilton unvermittelt.
»Was heißt hier gestritten …«
Olivia sah aus dem Busfenster.
»Er hat versucht, mich anzubaggern«, sagte sie.
Stilton nickte kurz. »Er leidet an Migro«, erklärte er dann.
»Was ist das?«
»Ein von Minderwertigkeitskomplexen untergrabener Größenwahn. Ein Gott auf tönernen Füßen.«
»Okay. Ich finde ihn einfach strange.«
Stilton grinste.
Sie trennten sich an Slussen. Olivia wollte zu Fuß nach Hause in die Skånegatan gehen und Stilton zum Katarinaparkhaus.
»Wollen Sie nicht zu Ihrem Wohnwagen?«
»Nein.«
»Und was machen Sie am Katarinaparkhaus?«
Stilton antwortete nicht.
»Ich kann auch den anderen Weg nehmen, über Mosebacke.«
Das musste Stilton akzeptieren. Während ihres kurzen gemeinsamen Spaziergangs erzählte Olivia ihm von ihrem Besuch in Jackie Berglunds Boutique und den Schweinen im Aufzug. Sie vermied es, den Kater zu erwähnen.
Als sie verstummte, warf Stilton ihr einen unmissverständlichen Blick zu.
»Legen Sie den Fall jetzt zu den Akten?«
»Ja.«
»Gut.«
Zehn Sekunden. Dann konnte sie sich die Frage nicht mehr verkneifen.
»Warum haben Sie damals ihren Job als Polizist aufgegeben? Hatte es etwas mit dem Mord an Jill Engberg zu tun?«
»Nein.«
Sie blieben an den Holztreppen stehen, die nach Mosebacke hinaufführten. Dann ging Stilton einfach davon, zu den Steintreppen auf der anderen Seite des Parkhauses.
Olivia sah ihm hinterher.
*
In einem halb verdunkelten Raum saß die MO -Gruppe zusammen und schaute sich einen Film auf der Internetseite Trashkick an, in dem Tom Stilton entkleidet, sein Rücken mit Farbe besprüht, er schwer misshandelt und zu einer Steinwand geschleift wurde. Nach dem Film war es still im Raum. Jeder der Anwesenden wusste, wer Stilton war oder vielmehr
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