Die Springflut: Roman (German Edition)
hinunter und wieder hinauf. Keine Bars. Zwei Restaurants, die etwas oberhalb am Hang lagen, aber geschlossen waren, einige kleinere Hotels und ein Strand. Als er hin und her gegangen war, ohne einer Menschenseele zu begegnen, ging er zum Strand hinunter, wo er zwei kleinen Jungs begegnete, die spielten, sie wären Warane, sich im Sand wälzten und kurze, seltsame Laute ausstießen. Abbas wusste, dass kleine Jungs große Augen und Ohren hatten, wenn sie wollten, so war zumindest er in seiner Kindheit gewesen, was ihm geholfen hatte, in den Armenvierteln von Marseille zu überleben. Er ging neben den Jungen in die Hocke und zeigte ihnen das Bild von Dan Nilsson.
»Der große Schwede!«, sagte der eine sofort.
»Wisst ihr, wo der große Schwede wohnt?«
»Ja.«
Die Sonne versank schnell im Ozean, und Mal Pais wurde in träge Dunkelheit gehüllt. Ohne die kleinen Jungen hätte er das einfache Holzhaus zwischen den Bäumen niemals entdeckt, aber so war es kein Problem.
»Da.«
Abbas betrachtete das hübsche Haus.
»Da wohnt der große Schwede?«
»Ja. Aber er ist nicht da.«
»Ich weiß. Er ist nach Schweden gefahren.«
»Wer bist du?«
»Ich bin sein Cousin, er möchte, dass ich ein paar Sachen für ihn hole, die er vergessen hat.«
Manuel Garcia war Abbas und den kleinen Jungen im Schritttempo gefolgt. Jetzt stieg er aus und kam zu ihnen.
»Ist das sein Haus?«
»Ja. Kommen Sie.«
Abbas gab jedem der Jungs hundert Colones und bedankte sich für die Hilfe. Die Jungen blieben stehen.
»Ihr könnt jetzt gehen.«
Die Jungen blieben immer noch stehen. Abbas gab ihnen noch hundert Colones. Daraufhin bedankten sie sich und rannten davon. Abbas und Garcia gingen durch das Gartentor und zum Haus. Abbas nahm an, dass es abgeschlossen war, und hatte recht. Er sah Garcia an.
»Ich habe meine Karte im Auto vergessen«, sagte er.
Garcia grinste. Wenn er es so haben wollte, kein Problem. Garcia kehrte zum Wagen zurück und wartete eine Weile. Als er sah, dass im Haus das Licht anging, kehrte er zurück. Abbas öffnete von innen die Haustür, er hatte eine kleine Scheibe auf der Rückseite eingedrückt und ein Fenster geöffnet. Die Dunkelheit, die sich rasch vertiefte, bot genügend Schutz für ein solches Eindringen. Außerdem war die Luft voller ganz verschiedener Tierrufe. Von Vögeln, Affen und Abbas’ weniger bekannten Primatenkehlen. Die trockene Stille vor einer Stunde war einer feuchten, regenwaldgesättigten Kakophonie gewichen.
»Wonach suchen Sie?«, fragte Garcia.
»Nach Papieren.«
Garcia zündete sich eine Zigarette an und setzte sich in einen Sessel.
Und zündete sich noch eine Zigarette an.
Und noch eine.
Abbas war ein gründlicher Mann. Zentimeter für Zentimeter durchsuchte er das Haus des großen Schweden. Ihm entging nicht einmal die dunkle Steinplatte unter dem Doppelbett, die eine Pistole verbarg. Er ließ sie liegen.
Pistolen waren nichts für ihn.
Als die Zigarettenschachtel leer war und Abbas zum dritten Mal die Küche durchforstete, stand Garcia auf.
»Ich fahre mal kurz Zigaretten holen, kann ich Ihnen etwas mitbringen?«
»Nein.«
Garcia trat durch das Gartentor, setzte sich ins Auto und fuhr davon. Er verließ Mal Pais mit einer Staubwolke hinter sich und fuhr zu einer Bar in Santa Teresa. Als sich der Staub gelegt hatte, schob sich ein dunkler Transporter aus einem der kleinen Wege zum Meer hinunter. Der Wagen hielt zwischen ein paar Bäumen. Drei bullige Männer stiegen aus, die Drogenringe in Stockholm gerne in ihren eigenen Reihen begrüßt hätten.
Im Schutz der Dunkelheit schlichen sie sich zum Garten des großen Schweden und betrachteten das hell erleuchtete Haus. Einer von ihnen zog ein Handy heraus und schoss zwei Fotos von dem Mann, der sich in dem Haus bewegte.
Die beiden anderen begaben sich auf die Rückseite.
Abbas setzte sich im Wohnzimmer in einen Bambusstuhl. Er hatte nichts von Interesse gefunden, nichts, was Mette weiterhelfen könnte. Keine Papiere, keine Briefe. Keine Verbindungen zu dem Mord an Nils Wendt in Stockholm. Und nicht den geringsten Zusammenhang mit dem Mordopfer auf Nordkoster, auf den Stilton so gehofft hatte. Bis auf die Pistole unter dem Bett war das Haus sauber. Abbas lehnte sich zurück und schloss die Augen. Die lange Flugreise forderte körperlich Tribut. Mental war er in sein Mantra vertieft, seine Art, innere Kraft zu schöpfen, um sich konzentrieren zu können. Deshalb bemerkte er die Schritte nicht, die durch die Hintertür ins
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