Die Springflut: Roman (German Edition)
Haus führten, jene Tür, die er selbst benutzt hatte. Eine Sekunde später hörte er sie, erhob sich lautlos wie ein geschmeidiger Schatten von seinem Stuhl und huschte ins Schlafzimmer. Die Schritte kamen näher. Garcia? Schon? Er hörte, dass die Schritte das Zimmer betraten, in dem er gerade noch gesessen hatte. Stammten sie von zwei Menschen? Es klang so. Dann wurde es still. Wussten sie, dass er hier war? Anzunehmen. Das Haus war hell erleuchtet. Man hatte ihn von draußen sicher sehen können. Abbas presste sich gegen die Holzwand. Vielleicht waren es Nachbarn, die gesehen hatten, dass das Licht an war und die Hintertür offenstand, und die sich fragten, was er in dem Haus zu suchen hatte. Aber es konnten natürlich auch ganz andere Leute mit ganz anderen Absichten sein. Warum hörte er nichts? Abbas dachte nach. Die da draußen wussten, dass er sich im Haus aufhielt, in dem es nur wenige Stellen gab, an denen man sich befinden konnte. Die kleine Küche war vom Wohnzimmer komplett einsehbar, so dass sie wussten, dass er dort nicht war. Also musste ihnen klar sein, wo er war. Hier. Er atmete möglichst lautlos. Warum kamen sie dann nicht herein? Sollte er abwarten? Still … Schließlich entschied er sich und trat in den Türrahmen. Zwei sehr brutal gebaute Männer mit mindestens genauso brutalen Pistolen standen zwei Meter vor ihm und hatten die Mündungen seelenruhig auf seinen Körper gerichtet.
»Wen sucht ihr?«, fragte Abbas.
Die Männer wechselten schnell einen Blick: Er sprach Spanisch. Der rechte Mann zeigte mit seiner Pistole auf den Stuhl, in dem Abbas kürzlich gesessen hatte.
»Setz dich.«
Abbas betrachtete die Mündungen, ging zu dem Stuhl und setzte sich. Die Männer waren wahrscheinlich Costa Ricaner, dachte er. Böse Costa Ricaner. Einbrecher?«
»Worum geht es?«, sagte er.
»Du bist im falschen Haus«, entgegnete der linke Mann.
»Gehört es euch?«
»Was machst du hier?«
»Aufräumen.«
»Das war eine dämliche Antwort. Versuch’s noch mal.«
»Ich suche nach einem verschwundenen Waran«, sagte Abbas.
Erneut sahen sich die Männer kurz an. Der Kerl war ein sturer Hund. Einer der beiden zog ein dünnes Seil heraus.
»Steh auf.«
Diese Bewegung beherrschte Abbas im Schlaf: leicht vorgebeugt, den Kopf auf die Brust gesenkt von einem Stuhl aufzustehen und dabei zu agieren. Keiner der Männer sah, was er tat, aber der eine spürte, wie das dünne Messer eindrang, seinen Kehlkopf durchschlug und durch die Halsschlagader wieder austrat. Dem anderen spritzte ein dünner Strahl warmes Blut ins Auge, so dass er unwillkürlich einen Schritt zur Seite machte, bevor ein zweites Messer tief in seine Schulter eindrang. Seine Pistole rutschte über den Fußboden.
Abbas hob sie auf.
» JUAN !!«
Der Mann mit dem Messer in der Schulter rief zur Tür hinaus. Abbas warf einen Blick aus dem Fenster.
Der dritte Mann hörte den Ruf aus dem Haus. Er wollte den anderen zu Hilfe eilen, als ihn Garcias Scheinwerfer trafen, woraufhin er sich neben dem Gartentor in den Straßengraben hockte. Das gelbgrüne Auto hielt vor dem Haus, und Garcia stieg mit einer Zigarette im Mund aus.
Hoffentlich ist dieser seltsame Schwede jetzt endlich fertig, dachte er.
Das war er.
Als Garcia das Wohnzimmer betrat, lagen zwei Männer auf dem Fußboden. Der Polizist erkannte sie sofort aus Fahndungsmeldungen und unzähligen Lagebesprechungen. Die beiden Männer waren zwei dringend gesuchte Kriminelle. Der eine lag in einer großen Blutlache und war ganz offensichtlich tot. Der andere saß an die Wand gelehnt und hielt eine Hand gegen seine blutende rechte Schulter. Der seltsame Schwede stand an der gegenüberliegenden Wand und war dabei, zwei lange, schmale Messer abzuwischen.
»Einbrecher«, bemerkte der Schwede trocken. »Ich gehe mal kurz nach Santa Teresa.«
Abbas war sich des dritten Manns bewusst, der sich irgendwo hinter ihm in der Dunkelheit bewegte. Zumindest nahm er das an. Außerdem wusste er, dass es nach Santa Teresa ein langer Spaziergang an einer inzwischen sehr dunklen und leeren Landstraße war, und er ging davon aus, dass der dritte begriffen hatte, was mit seinen Kumpels passiert war. Nicht zuletzt, weil Garcia aus dem Haus gestürmt war, sein Handy aus der Tasche gezerrt und mit einer sich fast ins Falsett steigernden Stimme das halbe Polizeicorps der Nicoya-Halbinsel alarmiert hatte.
»Mal Pais!!«
Das musste auch der dritte gehört haben.
Abbas war hochkonzentriert, als er mit dem Rücken
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