Die Springflut: Roman (German Edition)
wahrscheinlich irgendwo in der Nähe der Bar verborgen hielt. Zum anderen wegen der Polizei. Um Wendts Haus wimmelte es mittlerweise mit Sicherheit von Streifenwagen. Irgendwer würde ihm womöglich eine Menge Fragen stellen, die Abbas nur ungern beantworten wollte.
Also sah er den grinsenden Igeno an.
»Sie wollen nach Cabuya?«
»Ja.«
Igeno telefonierte, und zwei Minuten später tauchte vor der Bar einer seiner Söhne auf einem Quad auf. Abbas bat, sich das Foto an der Wand ausleihen zu dürfen, ging nach draußen, setzte sich hinter den Sohn und ließ den Blick über die nähere Umgebung schweifen. Obwohl es ziemlich dunkel war und aus der Bar kaum Licht ins Freie fiel, sah er für einen flüchtigen Moment hinter einer dicken Palme den Schatten.
Der dritte Mann.
»Fahren Sie.«
Abbas klopfte Igenos Sohn auf die Schulter, und das Quad fuhr los. Als Abbas sich umdrehte, sah er, dass der dritte Mann erstaunlich schnell nach Mal Pais zurücklief, wahrscheinlich, um dort sein Auto zu holen. Abbas erkannte, dass ihr Verfolger nicht lange brauchen würde, um sie einzuholen, da es nur eine einzige Straße in eine einzige Richtung gab.
Nach Cabuya.
Igenos Sohn fragte ihn, ob er warten solle, aber Abbas schickte ihn weg, da er nicht wusste, wie lange er bleiben würde. Er brauchte schon ziemlich lange, um zu Bosques’ Haus vorzudringen, da man über einiges Gerümpel steigen musste, bis man schließlich die Veranda erreichte, auf der Bosques in dünnen weißen Kleidern schlampig rasiert auf einem Stuhl an der Wand saß. Er hielt ein Glas Rum in der Hand, und neben ihm hing eine nackte, ausgeschaltete Glühbirne. Das Konzert der Zikaden im Dschungel störte seine Ohren genauso wenig wie das leise Rauschen eines kleineren Wasserfalls im Dickicht. Er beobachtete ein sehr kleines Insekt, das über seine braune Hand krabbelte.
Dann blickte er zu Abbas hinunter.
»Wer sind Sie?«
»Ich heiße Abbas el Fassi, ich komme aus Schweden.«
»Kennen Sie den großen Schweden?«
»Ja. Kann ich zu Ihnen hochkommen?«
Bosques betrachtete Abbas, der einige Meter unterhalb der Veranda stand. Der Mann sah eigentlich nicht aus wie ein Schwede oder Skandinavier. Er sah ganz anders aus als der große Schwede.
»Was wollen Sie?«
»Mich mit Ihnen über das Leben unterhalten, Bosques.«
»Kommen Sie herauf.«
Abbas stieg auf die Veranda hinauf, und Bosques trat einen Hocker in seine Richtung. Abbas setzte sich.
»Wenn Sie von dem großen Schweden sprechen, meinen Sie dann Dan Nilsson?«, fragte Abbas.
»Ja. Sind Sie ihm begegnet?«
»Nein. Er ist tot.«
Bosques’ Gesichtsausdruck war in der Dunkelheit kaum zu erkennen, aber Abbas sah, dass er einen Schluck aus seinem kleinen Glas nahm und das Glas ein wenig zitterte, als er es abstellte.
»Wann ist er gestorben?«
»Vor ein paar Tagen, er wurde ermordet.«
»Von Ihnen?«
Eine etwas seltsame Frage, dachte Abbas. Andererseits befand er sich auf der anderen Seite der Welt in einem gottverlassenen Dorf im Regenwald und sprach mit einem Mann, über den er ebenso wenig wusste wie über seine Beziehung zu Nils Wendt, den Bosques den großen Schweden nannte.
»Nein. Ich arbeite für die schwedische Polizei.«
»Können Sie sich ausweisen?«
Bosques konnte man so leicht nichts vormachen.
»Nein.«
»Warum soll ich Ihnen dann glauben?«
Tja, warum sollte er, dachte Abbas.
»Haben Sie einen Computer?«, fragte er dann.
»Ja.«
»Haben Sie hier auch Internetzugang?«
Bosques sah Abbas mit so kalten Augen an, dass sie die Dunkelheit durchdrangen. Er stand auf und ging ins Haus. Abbas blieb sitzen. Kurz darauf kehrte Bosques mit einem Notebook zurück und setzte sich wieder. Vorsichtig schloss er ein mobiles Modem an und klappte das Gerät auf.
»Suchen Sie nach Nils Wendt, Mord, Stockholm.«
»Wer ist Nils Wendt?«
»Das ist Dan Nilssons richtiger Name. Er schreibt sich mit W und am Ende mit dt.«
Der blaue Lichtschein des Computerbildschirms fiel auf Bosques’ Gesicht. Seine Finger bewegten sich über die Tastatur. Dann wartete er, den Blick auf den Bildschirm gerichtet, und obwohl er von dem, was dort auftauchte, kein Wort verstand, erkannte er auf dem Titelbild einer Tageszeitung natürlich Dan Nilsson, den großen Schweden. Ein siebenundzwanzig Jahre altes Bild, auf dem Nilsson ungefähr so aussah wie damals, als er zum ersten Mal in Mal Pais aufgetaucht war.
Unter der Aufnahme stand: »Nils Wendt«.
»Er ist ermordet worden?«
»Ja.«
Bosques klappte das
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