Die Spucke des Teufels
wahres Paradies. Hier wolle er
bleiben, sagt der Jost, hier am Niederrhein, weil er sich hier wohlfühle. Sagt’s
und streichelt die Katzen, die ihm immerzu um die Beine gehen. Dass er
vielleicht in Kürze eine Barbierstube in Goch eröffnen werde, sagt er und
verspricht, dass dann jeder Mann, der heute in dieser Wirtstube sitzt, eine
Rasur für umsonst bei ihm haben soll. Und verkündet, dass es gewiss bald so weit
sei, denn ein preußischer Major habe fest zugesagt, dafür zu sorgen. Das sei
ein einflussreicher Mann, dieser Major, und seit einiger Zeit am Niederrhein
stationiert, obwohl derzeit in dringenden Staatsgeschäften in Berlin unterwegs,
aber sicher bald zurück, sodass er den Antrag vom Jost alsbald bewilligen
werde.
Alle johlen, gratulieren dem Jost, prosten ihm zu. Alle
außer Willem.
»Wie heißt er denn, dein Major?«, fragt er und knetet
sein Kinn.
Lisbeth beißt sich auf die Lippen, die Ahnung, die sich
ihr aufdrängt, schnürt ihr die Kehle zu.
»Darf ich nicht sagen, ist doch alles noch geheim!«
»Ach komm, wir erzählen’s nicht weiter«, verspricht Willem,
schickt Lisbeth einen sorgenvollen Blick.
Natürlich schwören auch alle anderen hoch und heilig,
nicht zu verraten, wie dieser freundliche preußische Major heißt. Da lässt der
Jost sich erweichen, nimmt einen tiefen Schluck Bier und sagt: »Kreutzer.«
Alles schweigt. Der Name hallt in Lisbeths Ohren. Willem
spuckt dem verdatterten Jost ins Gesicht.
18 Jost
Aus dem Tagebuch eines Unbekannten, undatiert, gefunden
im Nachlass des Küchenmeisters Franz Vincent Müller, 1822 in Hamburg.
Nicht allein alle Namen sollen meinem Fahrtenbuch fürder
egal sein wie modernde Köttel am Wegrand, sondern auch Zeiten und Schauplätze
sollen darin so unkenntlich sein wie das Erdreich, zu dem jene allmählich verwittern,
zumal wenn unsere Welt, wie jetzt überall zu lesen ist, nur ein jämmerliches
Gestirn ist in der ewigen und unendlichen Weite des Himmels, nicht anders als
jene Sterne, die uns am Firmament erscheinen, die stetig auf- und niedergehen,
sich umeinander drehen und uns foppen, dass wir denken, sie seien zu unserer
Freude und Orientierung geschaffen, dabei vielleicht Menschen wie uns
beherbergen und Schicksale spinnen, denen kein einzelner Gott mehr Herr werden
kann, sodass auch der frömmste Christ an diesem Gedanken verzweifeln mag. Doch
wie es einesteils ein schauriger Gedanke ist, dass wir Menschen in diesem Universum
leben wie die Insekten auf einem Blatt, welches doch nur eines von vielen an
einem Baum ist, und der Baum nur einer von vielen in einem Obstgarten, so mag
es andererseits tröstlich für einen fahrenden Gaukler sein, sich keineswegs wie
eine träge Laus zu fühlen, welche dazu verdammt ist, die dörren Blätter zu
fressen, auf denen sie hockt, sondern frei wie eine Biene zu fliegen, den süßen
Nektar der Blüten zu trinken und weiterzuziehen, ohne über Zeit und Raum nachzudenken.
Das Dumme ist, dass manche Blüte so heimelig süß schmeckt
und eine Biene nicht anders kann, als sich ihr immer wieder zuzuwenden, was
Schmerz beschert, wenn sich die Blüte vor der Biene zu verschließen beginnt!
Ich spüre deutlich, dass ich es mir mit meinen Wahlverwandten verwirkt habe. Mein
Freund W. lenkt ein, sagt, ich könne ja nicht gewusst haben, was der Major für
einer ist, ich wär dem halt auf den Leim gegangen, weil ich so ein herzensguter
Kerl wär und mir nicht vorstellen könnt, dass es neben meinem eigenen bisschen
Hochstapelei und Hurerei Schlimmeres und Gemeineres in der Welt geben könnte.
So feixt er, lacht und haut mir auf den Ast, dass ich mir die Seele aus dem
Leib husten könnt, und doch schaut er mich manches Mal so scheel von unten
herauf an, als wüsst er nicht recht, ob ich nun Freund oder Feind wär. Und der
Bub ist plötzlich recht einsilbig zu mir, obwohl er den Major nicht kennt, gar
nie gesehen hat, aber er hält sich an alles, was W. sagt, und an das wenige,
was L. sagt, hält er sich sowieso, egal ob es Kochrezepte oder geheimes
Rosenkranzbeten sein mögen. Ohnedies hat er, so scheint es, einen angeborenen
Rochus auf alles, was Bajonette, Spitzhüte und goldene Litzen trägt, welches W.
mir neulich damit erklären wollt, dass der Bub ein viel zu gutes und reines
Herz hätt, um andere Menschen totzuschießen. Doch der Bub hat dazu die Achseln
gezuckt und erklärt, dass er vor allem nicht selbst totgeschossen werden will, nur
weil gerade Krieg ist, was zeigt, dass er ein weiser
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