Die Spucke des Teufels
her. Die Wolke sinkt, das
Pochen in den Lenden erlischt, ein ganz anderes Pochen klingt von der
Wirtshaustür herauf – zart und hart zugleich. Dann ein Ruf wie ein
Sternenregen: »Liiiiisbeth?«
Draußen steht Willem. Sein Kopf ist fast so rot wie der des
Indianers. Willem überreicht ihr ein Päckchen, sie wickelt ein weiß schimmerndes
Etwas heraus. Es sieht aus wie ein Stückchen Schweinespeck, aber es duftet nach
Rosen! Nach lauter Rosen!
Der Müller ist nicht der Indianer. Und doch ist plötzlich
Willems Mund auf Lisbeths Mund und Willem drängt mit seiner Zunge an Lisbeths
Zunge. Er saugt Lisbeth auf. Und Lisbeth saugt ihn auf wie trockene Erde die
ersten Regentropfen aufsaugt. Nein, der Willem ist nicht der Indianer. Aber er
ist ein lieber Kerl. Und die Mutter hat’s gewusst!
Samstag. Der Hahn hat schon vier Mal gekräht. Die
Sonne dringt durch die Ritzen des Fensterladens und sprenkelt Lisbeths Wangen,
sprenkelt ihr langes Haar, das wie Honig übers Kissen rinnt, das leise und
gleichmäßig schnaufende kleine Näschen, das schönste Näschen der Welt! Willem
dreht sich auf den Rücken, verschränkt seine Arme hinter dem Kopf und wartet
geduldig, bis sie aufwacht.
Draußen zwitschern die Amseln. Gackern die Hühner. Alle
Welt scheint so glücklich wie Willem. Bis ein Wagen hektisch heranrappelt und
ein gedehnter Schrei die Vögel wie die Hühner verstummen lässt. Dafür kläfft
das Wölfken wie verrückt, rasselt an seiner Kette.
Lisbeth fährt im Bett auf. Aber Willem steht schon am
Fenster, lugt hinaus.
»Klingt nach – Jost! Als ob er in Not wär!«
Er öffnet den Laden, sie blinzeln hinaus. Den Gehweg
herbei torkelt Jost in zerfetztem Hemd.
»Ah, die Herrschaften haben hoffentlich gut geruht, miteinander!«
Josts Stimme ist bitter wie Galle. Mit blutendem Daumen weist er zum Wagen, wo
ein zerzauster senfblonder Kinderkopf zwischen den Planen klemmt. »Da, ihr
beiden, hab euch, wie gewünscht, den Teufel hergebracht! Musst ihn erst mal
fesseln, damit er mich nicht umbringt. Beim Losmachen hat er mir fast den
Finger abgebissen. Hütet euch, in seine Nähe zu kommen, eh er eingeschlafen
ist!«
Sagt’s, strauchelt und sinkt in sich zusammen. Das Wölfken
ist still.
Lisbeth wirft einen ungläubigen Blick zum Wagen hinüber, der
Kinderkopf ist aus den Planen verschwunden. Sie beschließt, als Erstes den
armen Jost zu versorgen, verpflastert seinen Daumen, quartiert ihn im besten
Zimmer ein und packt ihn mit einer Wärmflasche ins Bett. Weil er es unbedingt
so will, verabreicht sie ihm zwanzig Tropfen von der Baldriantinktur, die er
selbst im Angebot hat, für einen halben Gulden das Fläschchen auf den Märkten
verkauft. Willem schirrt unterdessen das Pferd ab, tränkt es und bringt es im
Stall unter. Und dann warten sie beide, wortlos auf der Bank vor dem Wirtshaus
hockend, dass das senfblonde Rätsel freiwillig aus dem Wagen klettert. Oder
wenigstens etwas vermeldet. Vergeblich.
»Bin doch jetzt dein lieber Onkel«, versucht Willem schließlich
sein Glück mit gutem Zureden.
Doch lieber Onkel ist, so scheint es, ein ganz
falsches Stichwort. Kaum dass er es ausspricht, taucht das Puttengesichtchen
wieder zwischen den Planen auf, um sich sogleich in eine Dämonenmaske zu
verwandeln. Und kreischt, dass die Spatzen der Umgebung davonflattern. Als
Willem dennoch wagemutig hinübergeht, um den Schreihals behutsam und freundlich
aus dem Karren herauszuheben, bevor die am Himmel sich auftürmenden Wolkenberge
die Sonne verdecken oder gar Regen herabschicken, da holt er sich eine Ladung
Spucke ins Gesicht.
»Was muss sie gelitten haben«, sagt Lisbeth, trocknet Willem
Augen und Wangen.
Sie beschließen, den Franz vorzeitig aus der Schule zu holen.
Denn wenn Hannegret ihren Bruder erkennt, dann wird sie wohl Vertrauen
schöpfen, so glaubt Willem, und dann wird alles gut.
Willem sattelt Lisbeths Gaul und macht sich auf den Weg,
beschwatzt den Lehrer und unterschreibt schließlich kopfschüttelnd ein
vorgefertigtes Entschuldigungsschreiben, dass sich der Schüler Franz Vincent
Müller dem Unterricht aus dringenden familiären Angelegenheiten, als da sind Taufe,
Hochzeit, goldene Hochzeit, drohendes Ableben oder Beerdigung, entfernen darf.
Das Zutreffende muss angekreuzt werden. Willem entscheidet sich für drohendes
Ableben und eilt mit dem aufgeregten Franz auf dem kürzesten Weg zurück.
»Hannken, Hannken«, jubelt der Franz, rast trotz aller
Vorwarnung wie ein wilder Eber auf den
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