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Die Spur der Füchse

Die Spur der Füchse

Titel: Die Spur der Füchse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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plötzlich einen Heidenspaß.

09.00 Uhr

9

    Tim Fitzpeterson hatte keine Tränen mehr, und das viele Weinen hatte nicht mal geholfen. Er lag auf dem Bett, das Gesicht ins feuchte Kissen gepreßt. Jede Bewegung bereitete ihm schreckliche Schmerzen. Er versuchte, an gar nichts zu denken; sein Verstand wies jeden Gedanken zurück wie ein Kneipenbesitzer neue Gäste, wenn sein Lokal gerammelt voll ist. An einem bestimmten Punkt schaltete Tims Hirn sich vollständig aus, und er schlief ein paar Minuten. Doch das Entrinnen vor dem Schmerz und der Verzweiflung war nur von kurzer Dauer, und er wachte wieder auf.
    Tim stieg erst gar nicht aus dem Bett, weil er nicht wußte, was er tun oder wohin er gehen sollte, und weil ihm niemand einfiel, dem er gegenübertreten konnte. Also blieb ihm nur eins: liegenbleiben und nachgrübeln, warum die lustvollen Verheißungen ihn so bitter getrogen hatten. Doch Tony Cox hatte mit seiner schmutzigen Bemerkung in gewisser Weise recht gehabt: »Ein so heißes Gerät wie Dizi kriegen Sie nie mehr ins Bett.« Deshalb konnte Tim die immer wieder aufblitzenden Erinnerungen an den schlanken, sich stöhnend unter ihm windenden Körper des Mädchens nicht gänzlich vertreiben. Aber jetzt hatten diese Erinnerungen einen widerlichen bitteren Beigeschmack. Erst hatte sie ihm das Paradies gezeigt, um ihm dann die Tür vor der Nase zuzuschlagen.
    Und dieses Biest hatte ihm ihre Ekstase natürlich nur vorgespielt, während er selbst ehrlich gewesen war, was seine Gefühle betraf. Vor wenigen Stunden hatte er noch über ein neues Leben nachgedacht – Gedanken, die einer sexuellen Liebe entsprungen waren, von deren Existenz er gar nichts mehr gewußt hatte. Nun aber kam ihm seine ganze Zukunft plötzlich sinnlos vor.
    Er konnte die Kinder draußen auf dem Schulhof hören, wie sie schrien und kreischten und sich zankten, und er beneidete sie um die völlige Trivialität ihres Lebens. Tim rief sich ins Gedächtnis, wie er selbst als Schuljunge ausgesehen hatte, in seiner schwarzen Jacke und der kurzen grauen Hose. Jeden Tag drei Meilen Fußmarsch über Landstraßen in Dorset, um zur Grundschule zu kommen, die nur eine einzige Klasse besessen hatte. Er war der klügste Schüler gewesen, den diese Schule je gehabt hatte – was aber nicht viel besagte. Doch man hatte ihn Arithmetik gelehrt und ihm einen Platz auf dem Gymnasium besorgt, und mehr hatte er nicht gebraucht.
    Tim konnte sich erinnern, daß er auf dem Gymnasium regelrecht aufgeblüht war. Er war der Boß einer Bande gewesen, die Sportveranstaltungen und Spiele auf dem Schulhof organisiert und Aufstände im Klassenzimmer angezettelt hatte. Bis er seine Brille bekam.
    Das war es: Tim hatte sich zu erinnern versucht, wann er schon einmal im Leben so verzweifelt gewesen war wie jetzt. Nun wußte er es: an dem Tag, als er in der Schule zum erstenmal die Brille tragen mußte. Die Mitglieder seiner Bande waren zuerst bestürzt gewesen, dann erheitert, dann gehässig. In der großen Pause wurde Tim von einer Horde Mitschüler verfolgt, die im Chor ›Vierauge! Vierauge!‹ gerufen hatten – immer wieder. Nach dem Mittagessen hatte Tim versucht, ein Fußballspiel zu organisieren, doch John Willcott hatte gesagt: »Das ist jetzt nicht mehr dein Spiel.« Worauf Tim seine Brille in die Jackentasche gesteckt und Willcott eins aufs Maul gegeben hatte. Doch Willcott war ein großer, starker Kerl, und Tim – der für gewöhnlich von der Kraft seiner Persönlichkeit beherrscht wurde – war kein Kämpfer. Die Sache endete damit, daß Tim mit blutiger Nase im Umkleideraum stand, während Willcott die Spieler der gegnerischen Fußballmannschaften auswählte.
    Tim hatte versucht, im Geschichtsunterricht ein Comeback zu starten, indem er vor den Augen von Miß Percival – Old Percy – mit Tinte getränkte Papierbälle nach Willcott warf. Aber die sonst so nachsichtige Old Percy beschloß ausgerechnet an diesem schicksalhaften Tag, die Unnachgiebige herauszukehren, und Tim wurde zum Schulleiter geschickt, um sich sechs Schläge mit der Rute abzuholen. Auf dem Nachhauseweg mußte er sich einem weiteren Kampf stellen, der mit einer weiteren Niederlage endete. Dabei wurde seine Jacke zerrissen, worauf Tims Mutter das Sparschwein ihres Sohnes schlachtete, um von dem Geld – das Tim zur Anschaffung eines ElektronikBaukastens vorgesehen hatte – eine neue Jacke zu kaufen, was Tim finanziell um ein halbes Jahr zurückwarf. Es war der schwärzeste Tag im Leben des

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