Die Spur der Füchse
einen Drink hatte mixen wollen: Whiskey, Gin, trockener Sherry, ein guter Brandy sowie einige ungeöffnete Flaschen eau de vie prune , die ein Bekannter ihm aus der Dordogne mitgebracht hatte.
Tim entschied sich für den Gin, obwohl er das Zeug nicht mochte.
Tim goß einen kräftigen Schluck in das Glas auf dem Schreibtisch, dann setzte er sich in den Stuhl mit der geraden Rückenlehne.
Er würde nicht den Willen aufbringen, womöglich jahrelang auf den Tag der Rache zu warten, der ihm seine Selbstachtung zurückgeben konnte. In seiner derzeitigen Situation vermochte er Cox nur dann Schaden zufügen, indem er sich selbst einen viel größeren Schaden zufügte. Cox bloßzustellen würde auch ihn bloßstellen.
Aber Tote spüren keinen Schmerz.
Er konnte Cox vernichten und dann sterben.
Unter den gegebenen Umständen blieb Tim keine andere Wahl.
10
Derek Hamilton wurde am Bahnhof Waterloo von einem anderen Chauffeur in Empfang genommen, diesmal in einem Jaguar. Der Rolls-Royce – das standesgemäße Gefährt eines Aufsichtsratsvorsitzenden – war im Zuge der Sparmaßnahmen dem Rotstift zum Opfer gefallen. Bedauerlicherweise hatten die Gewerkschaften diese noble Geste nicht zu würdigen gewußt.
Der Chauffeur nahm seine Mütze ab und hielt die Tür auf. Derek stieg ein, ohne ein Wort zu sagen.
Als der Wagen anfuhr, traf Derek eine plötzliche Entscheidung: Er würde nicht geradewegs zum Büro fahren. »Bringen Sie mich zu Nathaniel Fett«, sagte er. »Wissen Sie, wo das ist?«
Der Chauffeur erwiderte: »Ja, Sir.«
Sie überquerten die Waterloo Bridge, bogen in die Aldwych ein und fuhren in Richtung des Londoner Banken-und Börsenviertels. Sowohl Derek als auch Nathaniel Fett hatten die Westminster School besucht: Nathaniel Fett senior hatte – vollkommen zutreffend – vermutet, daß sein Sprößling an dieser Hochschule nicht darunter leiden mußte, daß er Jude war; Lord Hamilton, weil er der Meinung gewesen war, daß sein Sohn Derek sich dort nicht zu einem ›Upper-class-Trottel‹ entwickeln würde, um seiner Lordschaft Worte zu benutzen.
Oberflächlich betrachtet, besaßen die beiden Männer sehr ähnliche familiäre Hintergründe: Beide hatten reiche, dynamische Väter und höchst attraktive Mütter; beide stammten aus Häusern, in denen ein intellektuell geprägter, kultivierter gesellschaftlicher Verkehr gepflegt wurde (häufig kamen Politiker zum Dinner); beide wuchsen in einer Umgebung kostbarer Ölgemälde und ungezählter Bücher auf. Doch als die Freundschaft fester wurde und die beiden jungen Männer nach Oxford wechselten – Fett zu Balliol, Hamilton zu Magdalen –, hatte das Haus der Hamiltons im direkten Vergleich den kürzeren gezogen. Derek hatte erkennen müssen, daß der Intellekt seines Vaters doch relativ beschränkt war. Der tolerante alte Fett diskutierte freimütig über Sozialismus und Kommunismus, abstrakte Malerei und Be-Bob-Jazz, um diese von ihm verhaßten politischen Weltanschauungen, Kunst-und Musikrichtungen anschließend mit chirurgischer Präzision in Stücke zu schneiden. Lord Hamilton vertrat zwar die gleichen konservativen Standpunkte, artikulierte sie jedoch mit der Holzhammer-Methode und den plumpen Klischees einer Rede im Oberhaus.
Auf der Rückbank des Jaguar lächelte Derek still vor sich hin. Er war mit seinem Vater immer zu hart ins Gericht gegangen, aber vielleicht taten das ja alle Söhne. Doch nur wenige Männer hatten sich so gut auf politisches Geplänkel verstanden wie der alte Lord Hamilton. Die Bauernschläue seines alten Herrn hatte Derek zu handfester Macht verholfen, wohingegen Nathaniel Fett senior intellektuell zu abgehoben gewesen war, als daß er es zu wirklichem Einfluß in Staatsangelegenheiten gebracht hätte.
Doch auch Nathaniel junior hatte eine brillante Karriere gemacht, da er die Intelligenz seines Vaters geerbt und genutzt hatte. Den Geldverleih, der von sechs Generationen erstgeborener Söhne mit Namen Nathaniel Fett weitervererbt worden war, hatte Nathaniel der Siebente in eine Handelsbank umgewandelt. Die Leute waren immer schon zu Nathaniel gekommen, wenn sie Rat brauchten, sogar, als er noch zur Schule gegangen war. Inzwischen betätigte Nathaniel sich als Banker, Börsenmakler sowie als Berater bei Unternehmensfusionen, -übernahmen und -auflösungen.
Der Jaguar hielt, und Derek sagte zum Chauffeur: »Warten Sie bitte auf mich.«
Die Büros von Nathaniel Fett waren nicht besonders eindrucksvoll eingerichtet; er hatte es
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