Die Spur der Füchse
senil.
Bist du denn so knapp an Freunden?, fragte sich Tim.
Was hast du eigentlich mit deinem Leben angefangen, daß du nun ohne einen Menschen dastehst, der fest zu dir hält?
Vielleicht hatte er deshalb niemanden, dem er sich anvertrauen konnte, weil echte Zuwendung immer auf Gegenseitigkeit beruhen mußte, und Tim hatte stets darauf geachtet, daß er jeden Menschen fallenlassen konnte, wenn die Situation es gebot oder wenn der Betreffende sich als entbehrlich erwies.
Nein, er konnte nicht auf Hilfe hoffen. Ihm standen nur die eigenen Mittel zur Verfügung. Was tun wir Politiker, fragte er sich, wenn wir bei Wahlen eine erdrutschartige Niederlage einstecken? Wir nehmen Neuordnungen vor; wir richten uns auf die Jahre ein, die wir als Opposition verbringen müssen; wir hacken vom Fundament der Partei ab, was überflüssig ist, und benutzen unseren Zorn und unsere Enttäuschung als Treibstoff für den Kampf.
Tim hielt in seinem Innern nach Wut und Haß und Bitterkeit Ausschau – nach Regungen, die ihn in die Lage versetzen konnten, Tony Cox den Sieg doch noch streitig zu machen. Doch er fand nur Feigheit und ohnmächtigen Zorn. Aber er hatte schon des öfteren Schlachten verloren und Demütigungen hinnehmen müssen. Außerdem war er ein Mann, und Männer hatten bekanntlich die Kraft, sich nicht unterzukriegen lassen und immer weiterzukämpfen. Oder doch nicht?
Was Tim betraf, hatte er seine Kraft stets aus einem bestimmten Bild geschöpft, das er sich von sich selbst machte: das Bild eines kultivierten Mannes, standhaft, vertrauenswürdig, treu und couragiert; ein Mann, der mit Stolz siegen und mit Würde verlieren konnte. Doch Tony Cox hatte ihm ein neues Bild des Tim Fitzpeterson gezeigt: das Bild eines Mannes, der naiv genug war, sich von einer hohlköpfigen Nutte verführen zu lassen; der so schwach war, daß er gleich bei dem ersten Versuch einer Erpres sung einen Vertrauensbruch beging; der so verängstigt war, daß er auf dem Boden kroch und um Gnade winselte.
Tim kniff fest die Augen zusammen, doch dieses Bild drängte sich machtvoll in seinen Geist. Es würde ihn für den Rest seines Lebens verfolgen.
Aber das mußte ja nicht für lange sein.
Zum erstenmal seit vielen Minuten bewegte sich Tim. Er setzte sich auf die Bettkante, dann stand er auf. Da war Blut, sein Blut, auf den Bettlaken – eine demütigende Erinnerung an die jämmerliche Szene mit Tony Cox. Die Sonne stand schon ziemlich hoch am Himmel und schien hell durchs Fenster. Tim hätte das Fenster gern geschlossen, doch die Anstrengung war zu groß für ihn. Er humpelte aus dem Schlafzimmer und ging durchs Wohnzimmer in die Küche. Der Kessel und die Teekanne standen noch dort, wo dieses We ibsstück beides hatte stehen lassen, nachdem sie Tee gekocht hatte. Schlampig, wie sie war, hatte sie ein paar Blätter auf der Arbeitsplatte aus Resopal verstreut, und sie hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Flasche Milch wieder in den kleinen Kühlschrank zurückzustellen.
Der Erste-Hilfe-Kasten befand sich oben in einem hohen, verschlossenen Geschirrschrank, wo kleine Kinder nicht herankommen konnten. Tim zog sich einen Stuhl heran und stieg darauf. Der Schlüssel lag auf dem Schrank. Tim fischte ihn herunter, schloß die Schranktür auf und nahm eine alte blecherne Keksdose, auf deren Deckel die Kathedrale von Durham abgebildet war, aus einem der Fächer.
Dann stieg er vom Stuhl, stellte die Blechdose ab und klappte den Deckel auf. Im Innern entdeckte er Pflaster, Verbandmull, Scheren, eine Salbe gegen Entzündungen, Kolikmittel für Babys, eine Tube Sonnencreme, die in dieser Kiste gar nichts zu suchen hatte, und eine kleine, prall gefüllte Flasche mit Schlaftabletten. Tim nahm die Flasche aus der Blechdose und klappte den Deckel wieder zu. Dann holte er sich aus dem Küchenschrank ein Glas.
Das Aufräumen ersparte er sich. Er stellte die Flasche Milch nicht in den Kühlschrank zurück; er beseitigte die auf der Arbeitsplatte verstreuten Teeblätter nicht; er stellte die Erste-Hilfe-Keksdose nicht zurück, und er verschloß den Geschirrschrank nicht. Diese Mühe kannst du dir sparen, mußte er sich immer wieder selbst erinnern.
Er nahm das Trinkglas und die Tabletten, ging ins Wohnzimmer und stellte beides auf den Schreibtisch, auf dem nur das Telefon stand, denn Tim räumte den Tisch stets ab, wenn er seine Arbeit beendete.
Er klappte die Türen des Schranks unter dem Fernseher auf. Da standen sie, die Getränke, aus denen er ihr
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