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Die Spur der Füchse

Die Spur der Füchse

Titel: Die Spur der Füchse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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jungen Tim Fitzpeterson gewesen, und seine Führungsqualitäten hatten einen so schweren Schlag erlitten, daß sie erst wieder zum Vorschein kamen, als er die Universität besucht hatte und der Partei beigetreten war.
    Zwei verlorene Kämpfe, eine zerrissene Jacke und sechs Schläge mit der Rute – hätte er doch auch jetzt solche Sorgen! Draußen auf dem Schulhof ertönte ein schriller Pfiff, und abrupt wurde der Lärm der Kinder leiser. Ich könnte meine Probleme ebenso rasch beenden, ging es Tim durch den Kopf. Der Gedanke war verlockend.
    Wofür habe ich gestern eigentlich gelebt?, fragte er sich. Für meine Karriere, für mein Ansehen, für eine erfolgreiche Regierungsarbeit. Heute kam ihm das alles unwichtig vor.
    Am Pfiff auf dem Schulhof erkannte Tim, daß es neun Uhr durch war. Eigentlich hätte er jetzt eine Ausschußsitzung leiten müssen, bei der über die Produktivität verschiedener Arten von Kraftwerken diskutiert werden sollte. Wie hatte er sich jemals für etwas so Bedeutungsloses interessieren können? Dann dachte Tim an sein Lieblingsprojekt: die Erstellung einer Prognose des Energiebedarfs der britischen Industrie bis zum Jahre 2000. Lieblingsprojekt? Jetzt konnte ihn die Sache überhaupt nicht mehr begeistern. Dann dachte er an seine Töchter, und die bloße Vorstellung, den Mädchen gegenüberzutreten, jagte ihm eine Heidenangst ein. Alles war in Scherben gegangen. Was spielte es da noch für eine Rolle, wer bei den nächsten Wahlen siegte? Die Geschicke Großbritanniens wurden ohnehin von Mächten bestimmt, die sich der Kontrolle durch die politisch Verantwortlichen entzogen. Tim hatte schon vor langer Zeit erkannt, daß die Politik ein Spiel war, aber jetzt legte er keinen Wert mehr darauf, mitzuspielen oder gar die Preise einzuheimsen.
    Es gab niemanden, mit dem er reden konnte. Keine Menschenseele. Er stellte sich vor, wie es sein würde, wenn er sich seiner Frau anvertraute. »Schatz, ich habe eine Dummheit gemacht. Ich bin dir untreu geworden. Eine Nutte hat mich verführt – ein wunderschönes, anschmiegsames junges Mädchen. Und dann hat sie mich erpreßt …« Julia würde mit Eiseskälte reagieren. Vor dem geistigen Auge sah Tim das Gesicht seiner Frau, wie es den Ausdruck des Ekels und der Verachtung annahm, während alle Gefühle, die sie noch für ihn hegen mochte, in ihrem Innern erstarben. Er würde die Hand nach ihr ausstrecken, und sie würde kreischen: »Rühr mich nicht an!«
    Nein, er konnte es Julia nicht sagen. Vielleicht später einmal, wenn er sicher war, daß seine eigenen Wunden verheilt waren … falls sie jemals verheilten. Doch Tim bezweifelte, daß er es so lange durchhalten würde.
    Oder gab es jemand anderen, dem er sich anvertrauen konnte? Parteifreunde? Kollegen aus der Fraktion? Nein. Die würden sagen: »Du lieber Himmel, Tim, alter Junge – das tut mir aber schrecklich leid für dich!« Und dann würden sie sich sofort daranmachen, sich eine Rückzugsstellung zu suchen, aus der sie den Angriff auf seinen Posten als Staatssekretär führen konnten, sobald die Affäre ans Tageslicht kam und Tim ging oder gegangen wurde. Und die Kollegen würden dafür sorgen, daß man sie mit keinem von Tims Projekten, mit keiner seiner Entscheidungen in Verbindung bringen konnte. Sie würden sich so selten wie möglich in Tims Gesellschaft sehen lassen. Vielleicht würde der eine oder andere Aspirant auf das Amt des Staatssekretärs sich sogar schon vor Tims Rücktritt öffentlich über ›Politik und Ethik‹ auslassen, um sich den Anstrich moralischer Glaubwürdigkeit zu geben. Doch Tim haßte die Kollegen deshalb nicht; denn seine Vermutungen basierten darauf, was er selbst in einer solchen Situation getan hätte.
    Und sein Ministerialdirigent? Er hatte sich mitunter fast wie ein wahrer Freund verhalten. Aber der Mann war noch jung, er konnte nicht wissen, wieviel bei einem Politiker nach zwanzig Jahren Verheiratetsein von ehelicher Treue abhing. Er würde Tim zynisch empfehlen, sich irgendeine glaubwürdige Vertuschungsgeschichte einfallen zu lassen – und die Schäden, die die Seele seines Chefs bereits erlitten hatte, gar nicht zur Kenntnis nehmen.
    Vielleicht konnte er mit seiner Schwester reden? Sie war eine Frau aus der Arbeiterklasse, mit einem Schreiner verheiratet, und hatte Tim schon immer ein bißchen beneidet. Nein, sie würde sich an seinem Kummer weiden. Es lohnte sich nicht, nur einen Gedanken daran zu verschwenden.
    Und sein Vater war tot, seine Mutter

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