Die Spur der Hebamme
ihr den Dienst.
»Komm endlich! Der Herr ist es nicht gewohnt, zu warten«, drängelte der Bursche.
Mit langsamen Bewegungen wischte sich Johanna die Hände ab, steckte ihren blonden Zopf zu einem Knoten auf und band ein Tuch über ihr Haar. Sie sah sich um, ob jemand in der Nähe war, der ihr helfen konnte. Vergeblich. Einem Befehl des Burgvogtes durfte sie sich nicht widersetzen – und auch sonst niemand hier, seit Christian und seine Ritter fort waren.
Gewohnheitsmäßig griff sie nach ihrem Korb mit Salben und Tinkturen, doch der Bursche meinte nur: »Das wirst du nicht brauchen.«
Mit einem Blick beschwor Johanna Mechthild, die ebenfalls erbleicht war, den anderen Bescheid zu sagen, und folgte dann mit schleppenden Schritten dem Boten zum Bergfried.
Als sie den Raum betrat, in dem Randolf mit seiner Frau und einigen seiner Leute saß, sah sie ihm nicht in die Augen, sondern kniete stumm nieder und wartete mit gesenkten Lidern.
Der Hüne tat erst so, als ob er sie nicht bemerkte. Um sie noch mehr zu verängstigen, wie sie ahnte. Doch sie konnte nichts dagegen tun, dass seine Absicht aufging. Sie zitterte am ganzen Leib.
Der Bursche hüstelte, um den Vollzug des Befehls anzudeuten.
Randolf ließ seine Blicke schweifen. »Ah, Christians Mündel«, meinte er gönnerhaft. Aber schon der Tonfall, mit dem er den Namen ihres Stiefvaters aussprach, jagte ihr einen Schauer über den Rücken.
»Steh auf und fürchte dich nicht«, richtete Richenza das Wort an sie. Ihre Stimme klang fast belustigt. »Niemand hier will deinem Ziehvater übel, das ist der ausdrückliche Wunsch desMarkgrafen. Das heißt auch, dass wohl wir uns in Christians Abwesenheit um dich kümmern müssen.«
»Ihr seid sehr gütig«, sagte Johanna vorsichtig, kein bisschen beruhigt durch diese Ankündigung, sondern aufs höchste alarmiert.
Die Art, mit der Randolfs kalter Blick über ihren Körper strich, weckte einen furchtbaren Verdacht in ihr. Aber seine Gemahlin saß neben ihm, da würde er doch nicht …?
»Wie alt bist du?«
»Dreizehn, edler Herr.«
Ihr entging nicht, dass Randolf einen kurzen Blick mit seiner Frau tauschte und sich zufrieden zurücklehnte.
»Also alt genug«, meinte die Burgherrin halblaut zu ihm.
»Es sind Klagen über dich an mich herangetragen worden«, erklärte Randolf. »Ernstzunehmende Klagen.«
Vor Staunen sah Johanna nun doch in sein Gesicht, aber sie senkte den Blick sofort wieder. Die eisblauen Augen machten ihr Angst.
»Pater Sebastian ist sehr ungehalten darüber, dass du dich mit fragwürdigen Dingen abgibst, angeblich, um Leute zu heilen, anstatt dich mit Spinnen und Weben zu befassen, wie es dir zukommt.«
»Herr …«, setzte Johanna zu einer Entgegnung an, doch Randolf unterbrach sie mit einer gebieterischen Handbewegung.
»Schweig! Willst du etwa behaupten, ein Mann Gottes irrt?«, fragte er scharf. »Willst du wie deine Stiefmutter wegen Schadenszauber und Widersetzlichkeit gegen Gottes Wort vor ein Kirchengericht? Glaubst du, du könntest dabei davonkommen, nur weil sie es durch ein paar unerklärliche Zufälle geschafft hat?«
Johanna sank noch mehr in sich zusammen.
»Du wirst sofort damit aufhören, ein für alle Mal«, befahl Randolf.Er tat, als würde er erst beim Weiterreden überlegen, doch Johanna spürte, dass er sich seine nächsten Worte längst zurechtgelegt hatte.
»Das wird nicht genügen, um den Makel von dir zu nehmen«, sagte der Hüne und strich sich in gespielter Nachdenklichkeit übers Kinn. »Wir müssen verhindern, dass jemand solche Vorwürfe gegen dich erheben kann. Christian ist bedauerlicherweise nicht da, um deinen Ruf zu verteidigen. Und niemand weiß, wann und ob er überhaupt wiederkommt.«
Ein Unterton in Randolfs Worten ließ sie aufhorchen. Er war sicher, dass Christian nie wiederkommen würde! Ihr Inneres krampfte sich zusammen, und sie brauchte einen Moment, um den Inhalt der nächsten Worte zu erfassen.
»Ich werde solange an seiner Statt dein Vormund sein und dich in meinen Haushalt aufnehmen, damit dein Ruf gewahrt wird.«
Johanna sah, wie er sich an ihrem Entsetzen weidete. Allein und ständig von Randolf und seinen Leuten umgeben, würde es nicht lange dauern, bis die Männer – erklärte Feinde ihrer Stiefeltern – über sie herfallen würden. Und niemand war in der Nähe, den sie um Hilfe bitten konnte.
»Willst du dich nicht bedanken für die Gnade?«, meinte Randolf schroff.
»Die Ehre ist zu groß für mich«, stammelte sie. »Ich bin
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