Die Spur der Hebamme
krallte sich in Elisabeths Arm, als sie schließlich zu den Leichnamen von Richard und Gero trat.
Die Brüder waren nebeneinander aufgebahrt, beide mit durchschnittenen, blutig klaffenden Kehlen.
Marthe sank auf die Knie, schlug ein Kreuz und begann stumm zu beten. Um das Seelenheil der Männer, die ihr Leben hatten geben müssen, darum, dass Lukas wieder genas, dass Raimund und Arnulf von solchem Unheil verschont blieben, und darum, dass Christian noch am Leben war. Und um Gerechtigkeit – dass die Mörder und Verräter bestraft wurden.
Elisabeth tat es ihr gleich.
Lange knieten sie dort. Hundert Dinge schossen Marthe durch den Kopf: Worte, die einer der Toten einmal zu ihr gesagt hatte, Scherze, die ein anderer gemacht hatte, die vielen Prellungen und manchmal auch Brüche, die sie bei den jungen Burschen nach den Übungskämpfen behandeln musste, all das Gute, das sie ihnen noch hätte tun wollen und nun nicht mehr konnte.
Schließlich stand sie auf und wollte hinausgehen, gerade und aufrecht, doch schon nach zwei Schritten sank sie in sich zusammen und begann bitterlich zu schluchzen.
Elisabeth zog sie hoch, umarmte sie und ließ wortlos zu, dass Marthe ihr das Schulterteil ihres Kleides nass weinte. Auch ihr liefen die Tränen übers Gesicht.
»Ich muss wieder los und mich um Lukas kümmern«, schniefte Marthe endlich, während sie sich die Tränen mit dem Ärmel abwischte.
»Nein, du brauchst jetzt Ruhe«, meinte Elisabeth. »Bei Lukas wacht einer der Knappen, und er hat Anweisung, sofort zu melden, wenn es ihm schlechter geht.«
Doch Marthe wollte keine Ruhe. Die Toten mussten gerächt, der Verräter entlarvt und Christian befreit werden.
Wenn sie dafür Ulrichs Hure werden musste, würde sie es tun. Aber erst würde sie versuchen, ob es nicht noch eine andere Lösung gab.
Einige Tage später kam ein unbekannter Reiter zu Randolf nach Christiansdorf. Er wurde vorgelassen und bat um ein vertrauliches Gespräch mit dem Burgvogt.
Als der Fremde wieder fortgeritten war, rief Randolf mit triumphierender Stimme nach seiner Frau und seinen Freunden und befahl den Dienern, sofort vom besten Wein zu bringen.
Mit leuchtenden Augen hob er seinen Becher und trank Richenza zu. »Jetzt gehört uns Christiansdorf ganz! Und es wird Zeit, dass es einen neuen Namen bekommt.«
Seine Frau kniff die Augen leicht zusammen und lächelte ihm zu. »Der Plan ist aufgegangen? Wie schön. Jetzt stört nur noch die kleine Hexe. Hast du schon eine Vorstellung, wie du verhindern kannst, dass ihre Brut das erbt, was uns zusteht?«
Ekkehart räusperte sich. »Ich hätte da einen Vorschlag«, sagte er und hoffte, dass Richenza ihm das Beiläufige in seiner Stimme abnahm.
Als er geendet hatte, lachte Randolf dröhnend. »So etwas Wunderbares, Perfides habe ich lange nicht von dir gehört, mein Freund! Du reichst sie doch an uns weiter, wenn du mit ihr fertig bist?«
Statt einer Antwort erhob sich Ekkehart, um einen Augenblick Zeit zu gewinnen und seine Gesichtszüge wieder unter Kontrollezu bringen. »Ich sollte wohl besser gleich nach Meißen reiten, bevor mir jemand zuvorkommt.«
Johanna
Den Christiansdorfern sollten die nun folgenden Tage für immer in Erinnerung bleiben: Tage, an denen Randolf wie ein entfesselter, gewalttätiger Orkan durch ihr Dorf fegte.
Johanna war die Erste, die seine beginnende blutige Regentschaft zu spüren bekam.
Vor ihr tauchte ein junger Bursche auf und sagte: »Unser Herr Randolf befiehlt dich zu sich.«
Ihre Hände sanken herab. Sie brachte kein Wort heraus.
Randolf war der Alptraum ihrer jungen Jahre. Niemand brauchte sie mit Dämonen, Drachen oder wilden Männern erschrecken – ihre schlimmsten Ängste rührten von dem weißblonden Hünen. Sie wurde immer noch nachts von Alpträumen gequält, in denen sie wieder und wieder erleben musste, wie er Guntram hängen ließ und Kunos Mutter, die alte Grete, erstach, wie er befahl, ihren Bruder Karl und Jonas bis aufs Blut auszupeitschen. Sie wusste wie jeder im Dorf, dass Randolf auf den Tod mit Christian verfeindet war, den sie still, aber hingebungsvoll verehrte. Und sie wusste auch, dass ihre Stiefmutter, die mutig war wie keine andere Frau, die sie kannte, dem Burgvogt geflissentlich aus dem Weg ging.
Was mochte er von ihr wollen? Bestimmt keine Arzneien. Randolf nahm für sich und seine Leute ausnahmslos die Dienste des Wundarztes in Anspruch. Was würde er ihr antun?
Johanna wollte schreien und wegrennen, aber die Beine versagten
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