Die Spur der Hebamme
tonlos.
Er starrte an die Wand, irgendwo ins Leere. »Wir sind verraten worden. Sie wussten genau, dass wir das Silber hatten«, wiederholte er fast die gleichen Worte, die er schon in der Halle gesprochen hatte.
»Und du hast gesehen, dass sie tot sind?«, beharrte sie.
»Alle bis auf Hannes, den jungen Meißner. Und vielleicht auchChristian. Ich habe seinen Leichnam nicht gesehen. Ein paar Mann habe ich niedergemacht, dann muss mir jemand von hinten einen gewaltigen Hieb verpasst haben. Ich bin einfach umgefallen. Wahrscheinlich dachten sie, ich sei tot. Das hat mich gerettet.« Er stieß ein bitteres Lachen aus. »Hannes hat mich wachgeprügelt, als sie weg waren. Dann ist er losgeritten, um die anderen zu holen. Ich habe meinen toten Gefährten die Augen geschlossen und mich auf den Weg hierher gemacht.«
Lukas erkannte ihre stumme Frage.
»Es besteht Hoffnung, dass er noch lebt. Warum sollten sie seinen Leichnam mitnehmen? Er bekam einen Pfeil ins Bein, trotzdem hat er gekämpft wie ein wütender Stier. Ich hörte, wie jemand brüllte: Den lasst leben, für den zahlt der Landgraf gutes Geld.«
Völlig erschöpft ließ sich Lukas zurücksinken. Marthe gab ihm noch etwas zu trinken, dann überließ sie ihn dem Schlaf und sich selbst ihren finsteren Gedanken.
Zusammen mit einer Magd blieb Marthe die ganze Nacht auf, um bei Lukas zu wachen, der bald in unruhigen, fiebrigen Schlaf gefallen war. In wirren Träumen rief er Namen und Warnungen und schien von neuem zu durchleben, wie seine Kameraden niedergemetzelt wurden.
Erst gegen Morgen wurde er ruhiger. Sie schickte die Magd zu Bett, besorgte eine Ablösung und ging in die Halle, um vor Otto niederzuknien. Der Markgraf wirkte bleich und übernächtigt. Wie Marthe auf dem Weg in die Halle gehört hatte, gab es bisher noch keine Nachricht über den Verbleib des Silberschatzes.
Stockend berichtete sie von Lukas’ Worten, nach denen Christian womöglich auf der Wartburg in Eisenach gefangengehalten wurde.
»Ich bitte Euch inständig, versucht meinen Gemahl, Euren Lehnsmann, freizukaufen«, flehte sie.
»Wie stellt Ihr Euch das vor?«, fuhr der Markgraf sie an. »Soll ich Ludwig ohne Beweise unterstellen, mein Silber geraubt zu haben und einen meiner Ritter gefangenzuhalten? Er hat mir keine Fehde erklärt. Nein, wir müssen warten, ob er einen Boten mit einer Lösegeldforderung schickt. So lange müsst Ihr Euch gedulden.«
Doch Marthe wollte und konnte sich nicht gedulden. Ihr Gefühl sagte ihr, dass jeder Tag zählte.
Demütig senkte sie den Kopf, und ihre Stimme zitterte, dennoch widersprach sie dem mächtigen Markgrafen, was zu entrüstetem Raunen in der Halle führte.
»Er hat für Euch gekämpft, wieder und wieder sein Leben riskiert. Er ist verraten worden bei einem Auftrag, zu dem Ihr ihn ausgesandt habt. Könnt Ihr nicht wenigstens einen Boten nach Eisenach schicken, der sich umhört, wenn schon keinen Unterhändler?«
Ottos Züge verfinsterten sich immer mehr. Marthe bereute bitter, nicht gewartet zu haben, bis Hedwig kam, die ihr vielleicht beigestanden hätte.
Nach einem Moment eisigen Schweigens in der Halle fragte Otto: »Wird Lukas seinen Schwertarm je wieder gebrauchen können?«
»Ich hoffe es, Herr«, antwortete Marthe, beunruhigt durch den Themenwechsel. »Aber es wird dauern, bis die Wunde verheilt ist.«
»Nun denn. Mag er nach Eisenach reiten und sich dort umhören, sobald er dazu in der Lage ist«, verkündete der Markgraf mürrisch. »Falls er auf eine Spur von Christian stößt, soll er über einen Freikauf verhandeln.«
Mit einer unwirschen Handbewegung beendete er das Gespräch.»Und nun geht und übt Euch in Geduld. Ich habe im Moment drängendere Sorgen. Ich schulde dem Kaiser fünftausend Mark Silber.«
Marthe begriff, dass jedes weitere Wort nur schaden würde. So verließ sie die Halle, während sie fieberhaft überlegte, was ihr zu tun blieb, um schnell Gewissheit über Christians Schicksal zu erlangen und ihm zu helfen. Sie selbst konnte nicht nach Eisenach reiten, allein würde sie in der derzeitigen Lage die Wartburg nie lebend erreichen. Und vor allem – womit hätte sie Christian freikaufen können? Außerdem durfte sie die Kinder und den verletzten Lukas nicht im Stich lassen.
Sie vermochte nicht einmal zu sagen, ob es geheimes Wissen oder nur ihr sehnlicher Wunsch war, dass Christian noch lebte.
Ulrich war ihr gefolgt und fing sie ab, bevor sie ihm aus dem Weg gehen konnte.
»Ritter Lukas dürfte zu
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