Die Spur der Hebamme
bewegen. Als er sie gar noch bat, sich die Hände zu waschen, bevor sie die Wunde versorgte, sah sie ihn so entrüstet an, als würde sie ihn am liebsten mit dem Besen aus dem Haus jagen.
Aber auch Lukas konnte furchterregend blicken, wenn es nötig war. Kopfschüttelnd und unter leisem Gebrabbel über zerlumpte Fremde mit merkwürdigen Wünschen ging sie hinaus zum Brunnen. Immerhin – als sie wiederkam, waren ihre rissigen Hände und Fingernägel fast sauber. Lukas bat sie, etwas von der Tinktur aufzutragen, die Marthe ihm mitgegeben hatte, und reichte ihr das saubere Verbandszeug, das er ebenfalls auf Marthes Betreiben hin im Reisegepäck hatte.
Trotz der Schimpferei der Wirtin saß der neue Verband fest. Zufrieden krempelte Lukas den Ärmel herunter und ließ sich Bier, Brot und Käse bringen. Er kümmerte sich selbst darum, dass die Pferde gut versorgt waren, dann machte er sich auf den Weg hinauf zur Burg. Zu Fuß, denn als Soldat ohne Anstellung würde er kaum ein Pferd besitzen.
Till hatte ihm ein Versteck beschrieben, in dem sie sich treffen wollten, ein winziger Durchlass im Gestrüpp entlang des steilen, gewundenen Weges hinauf zur Burg, der zu einem Hohlraum führte; vielleicht ein heimliches Liebesnest.
Lukas blickte hinter sich, ob ihn jemand beobachtete, und vertrödelte einige Zeit, um zwei schwatzende Mägde mit Körben voll Kohl vorbeigehen zu lassen. Dann schlüpfte er in den Durchlass, der nur für den zu erkennen war, der an dieser Stelle danach suchte. Ob wohl Ludmillus hier einst ein heimliches Stelldichein gehabt hatte?, überlegte Lukas, der den früheren Spielmann in Gedanken immer noch bei diesem Namen nannte. Auf die Wartburg, wo gute Spielleute gerngesehene Gäste waren, war er vor Jahren geflüchtet, nachdem ihm in Meißen wegen eines gefährlichen Geheimnisses drei Mörder aufgelauert hatten. Nur das Eingreifen von Lukas hatte ihn gerettet, und er hatte mit seiner Familie und Hilarius sofort die Stadt verlassen.
»Fragt auf der Wartburg nach dem Spielmann Reinhardt«, hatte er Lukas und Marthe bei seiner überstürzten Flucht zugerufen, für den Fall, dass sie ihn als Zeugen brauchten, um Christian von der falschen Anklage zu befreien. Doch jeder von ihnen wusste: Ein Spielmann galt als unehrlich Geborener, niemand würde seinem Wort Bedeutung beimessen. Christian erkämpfte sich seinen Rang und guten Namen mit dem Schwert zurück.
Reinhardt, Ludmillus, Till, überlegte Lukas. Ein Mann mit vielen Namen.
Es raschelte im Gebüsch, jemand näherte sich. Lukas umfasste den Griff seines Dolches. Doch es war tatsächlich der Erwartete.
»Er war hier«, berichtete Till sofort, und seine Augen leuchteten für einen Moment wie noch nie, seit er allein und vollerBitterkeit in Christiansdorf aufgetaucht war. »Aber sie haben ihn von hier aus fortgeschafft nach Dankwarderode.« Das Leuchten erlosch. »In Fesseln und mit verbundenen Augen.«
»Ist das sicher?«, fragte Lukas, gleichzeitig verwundert und enttäuscht. Wenn er noch nach Braunschweig auf Herzog Heinrichs Stammburg reiten musste, um dort von vorn mit der Suche zu beginnen, würde die Zeit für Marthe knapp werden. Ganz abgesehen davon, dass er sich fragte, wieso sich ausgerechnet der Löwe für Christian interessieren sollte.
Doch Till nickte heftig. »Ich habe hier jemanden wiedergetroffen, ein Mädchen«, sagte er auf einmal verlegen. »Sie war damals Hilarius’ Liebste. Jedenfalls« – er schien sich selbst wieder zur Ordnung zu rufen und sprach hastig weiter –, »ihr Vater war Feldscher, und seit seinem Tod ruft man sie, wenn Wunden zu versorgen sind. Ihr Bruder, bei dem sie lebt, hat weder Lust noch Talent, das Gewerbe ihres Vaters zu übernehmen. Sie haben sie in die Verliese zu einem Gefangenen mit einer Pfeilwunde am Bein geschickt. ›Sorg dafür, dass er lebend auf Dankwarderode ankommt.‹ Genau das hat man ihr gesagt. Und ihre Beschreibung passt genau auf Christian.«
»Du bist dir absolut sicher, dass sie die Wahrheit sagt?«, drängte Lukas. Sie konnten sich keinen Fehler erlauben. Wenn Christian wirklich in Braunschweig war, musste er sofort aufbrechen. Doch wenn er sich irrte und fortritt, während der Freund noch hier war, dann hatte er den Fehler seines Lebens begangen.
»Unbedingt«, versicherte Till. »Sie hat ihn genau beschrieben und erzählt, dass der Gefangene sie daran gehindert hat, ihm heißes Pech auf die Wunde zu streichen. Er verlangte, dass sie sie ausbrennt, sonst würde sie in zwei Tagen
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