Die Spur der Hebamme
zukam, wäre sie vor Angst und Scham am liebsten im Boden versunken.
In seiner Phantasie hatte sich Christian die schlimmsten Bilder ausgemalt, als sie trotz des scharfen Ritts Meißen erst zu einer Zeit erreichten, zu der Marthes Vermählung gerade stattfinden musste, falls Till nicht für Aufschub sorgen konnte. Nur knapp hatten sie es geschafft, noch vor Einbruch der Dunkelheit in die Stadt eingelassen zu werden und den Burgberg hinaufzureiten. Sie waren sofort in Ottos Halle gestürzt, in der Hoffnung, dort die Hochzeitsgesellschaft noch vorzufinden, sofern die Heirat nicht verschoben worden war. Doch als sie hörten, das junge Paar habe sich schon in sein Gemach zurückgezogen und das Ehebett segnen lassen, hätte er am liebsten aufgeschrien wie ein waidwundes Tier.
Otto, der nach der Brautlegung wieder zur Tafel zurückgekehrt war, bemerkte ihn und starrte ihn an wie einen Geist. Christian wurde sich verzweifelt bewusst, dass er zuerst vor seinenDienstherrn treten musste. Leise bat er Lukas: »Such jemanden, der ihn aufhält!«
Sein Freund verstand sofort und stürzte los.
Auch Otto hielt sich nicht lange mit Reden auf, nachdem er sich vergewissert hatte, dass sein totgeglaubter Ritter zwar abgemagert und verwundet, aber dennoch leibhaftig vor ihm stand. Er begleitete ihn sogar zur Kammer des Paares, dessen Hochzeit er angewiesen hatte und die nun annulliert werden musste.
Dort standen bereits viele Menschen im Gang, während ein Geistlicher in Lukas’ Begleitung energisch an die Tür pochte und Zutritt forderte.
Zügellose Wut und Eifersucht überfielen Christian. Als er den völlig unbekleideten Ekkehart vor sich sah, zog er sein Schwert und nahm kaum wahr, dass ein paar Leute um ihn herum aufschrien, ihm jemand sogar in den Arm fallen wollte, den er abschüttelte wie eine lästige Fliege.
Doch dann sah er Marthe: kreidebleich an die Wand gepresst, in eine Decke gehüllt und einen Dolch in der Hand.
Erleichtert ließ er sein Schwert sinken und stürzte auf sie zu. »Dir ist nichts geschehen?«
Sie rutschte zu Boden und barg das Gesicht in den Händen. »Ich hatte gehofft, dass es nie dazu kommen würde … dass Lukas dich rechtzeitig findet«, flüsterte sie, ohne zu wagen, ihn dabei anzusehen. »Verzeih mir!«
Dann wurde sie von einem Weinkrampf geschüttelt.
Er hüllte sie in seinen Umhang und half ihr hoch.
Noch bevor er sie hinausführen konnte, trat der Priester auf ihn zu. »Ihr habt Euch von diesem Weib fernzuhalten«, befahl er.
»Sie ist meine Frau!«, fuhr Christian auf – Worte, bei denen Marthe ein Stein vom Herzen fiel. Doch die nächste Äußerung des Geistlichen versetzte sie erneut in angstvolle Starre.
»Darüber muss erst beraten und befunden werden«, sagte erkühl. »Schließlich habe ich sie selbst heute vor Gott auf Lebenszeit mit einem anderen Mann verbunden.«
»Diese Ehe wurde nicht vollzogen«, protestierte Marthe schniefend.
»Schweig, sündiges Weib«, wies der Priester sie streng zurecht. »Bis die Kirche zu einem Urteil gekommen ist, welche ihrer beiden Ehen für gültig erklärt wird, schafft sie in die Frauengemächer und achtet darauf, dass sich ihr kein Mann nähert«, verkündete er dann in die Runde.
Marthe sah völlig entgeistert erst zu ihm, dann zu Christian.
Konnte es tatsächlich sein, dass man sie trotz Christians Rückkehr Ekkehart zusprach?
»Und Ihr bedeckt endlich Eure Blöße«, wies der Geistliche den wütenden Bräutigam an. »Ich erwarte Euch und Euch« – er warf einen finsteren Blick auf Christian – »morgen noch vor der Frühmesse beim Bischof.«
Er winkte eine der Wachen herbei, die ihm gefolgt waren. »Schaff sie fort und sorge dafür, dass kein Mann sie sehen oder sprechen kann.«
Marthe verzichtete bewusst darauf, Ekkeharts kostbares Hochzeitskleid aus der Truhe zu holen. Sie zog sich Christians Umhang noch enger um die Schultern und bedeckte ihr Haar mit der Kapuze. Nach einem letzten, verzweifelten Blick auf Christian ließ sie sich fortführen.
Otto befahl Christian, Ekkehart und Lukas, ihm zu folgen.
Die Menschenmenge zerstreute sich, aufgeregt über den unglaublichen Zwischenfall debattierend. Doch Christian entging nicht der gleichermaßen fassungslose wie hasserfüllte Blick, mit dem ihn Randolf anstarrte.
Schon im Gehen, wandte sich der Markgraf zu dem Hünen um. »Randolf, gesellt Euch zu uns. Schließlich geht es hier nicht nur um die leidige Frage, welche Ehe nun Gültigkeit behält, sondernum die Zukunft
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