Die Spur der Hebamme
Rotbart verärgerte: Während er tatenlos zusehen musste, wie sich die oberitalienischen Städte zu einem mächtigen Bund gegen ihn zusammenschlossen, verfielen seine Fürsten immer wieder in neue Streitigkeiten untereinander, statt endlich ein geeinigtes Heer aufzustellen. Und zu alldem drängten ihn nun auch noch die Erzbischöfe von Köln und Magdeburg, sich nach fast zwanzigjähriger Fehde mit Papst Alexander auszusöhnen, was faktisch auf eine Unterwerfung hinauslief. Den ganzen Zorn des Kaisers darüber bekam Hedwigs Bruder zu spüren, obwohl er in Ottos Augen der Angegriffene und nicht der Angreifer war.
Endlich erhoben sich der Kaiser und seine Gemahlin Beatrix und beendeten damit für diesen Tag die Zusammenkunft.
Otto schob sich in Richtung seines Bruders und gab ihm ein Zeichen.
Dietrich nickte kurz zu ihm herüber, erwiderte die freundschaftliche Geste eines Edelmannes, verneigte sich nach ein paar höflichen Worten vor einem anderen und folgte seinem Bruder durch das Gewühl hinaus aus der prachtvollen Kaiserpfalz.
Solange sie lästige Mithörer in ihrer Umgebung wussten, gingen sie schweigsam durch den prasselnden Regen zu dem Quartier, in dem Otto und Hedwig mit ihrem Gefolge während des Hoftages untergebracht waren.
Während Otto sich missmutig ausmalte, wie Kälte und Nässe seinen Knochen in den nächsten Tagen wieder zu schaffen machen würden, flogen Dietrichs Gedanken zu Hedwig.
Er hatte einen unglaublichen Verrat an seinem Bruder begangen. Aber, bei Gott, er konnte kaum noch an etwas anderes als an sie denken. Seine Seele und sein Körper standen schon bei der Erinnerung an sie in Flammen.
Als der immer heftiger werdende Regen auch die letzten möglichen Zuhörer von der Straße getrieben hatte, hielt Otto nicht länger an sich.
»Ich begreife es nicht«, polterte er los. »Kaum ist der Löwe zurück, stiftet er schon wieder Unfrieden. Und trotzdem empfängt ihn der Kaiser wie einen lange vermissten Bruder oder Freund. Oder war das etwa nur Höflichkeit?«
Dietrich wurde aus seinen Gedanken gerissen und musste sich erst für die Antwort sammeln. »Nein, seine Freude ist echt. Ich habe es aus nächster Nähe erlebt.«
Dietrich zögerte einen Augenblick, sprach dann leise, aber mit fester Stimme weiter. »Der Kaiser irrt. Über kurz oder lang wird es zur Zerreißprobe kommen, wer der Mächtigste im Reich ist.«
Otto zog zweifelnd die Augenbrauen hoch und senkte nun selbst seine Stimme. Manchmal hatten auch die Wände Ohren. »Du glaubst wirklich, der Löwe würde es wagen, den Kaiser herauszufordern? Nach der Krone zu greifen?«
»Glaubst du das etwa nicht? War das nicht der Grund dafür, uns vor ein paar Jahren gemeinsam mit Dutzenden anderer Fürsten und Erzbischöfe gegen ihn zu stellen?«
Otto lachte trocken auf. »Nun ja … einer der Gründe. Der wichtigste Grund war doch wohl, dass wir uns in unserer eigenen Stellung bedroht fühlten. Eine Frage der Ehre. Und der Macht. Haben wir es nicht gerade eben wieder erlebt, als es umden jungen Thüringer ging, der frech Hermanns Burg belagert? Wer immer mit dem Löwen gemeinsame Sache macht, darf sich anscheinend alles herausnehmen. Eine Schande!«
Sie hatten das Quartier erreicht und schüttelten beim Eintreten die Regentropfen von den Umhängen. Otto ging kurz ans Feuer, um sich die Hände zu wärmen, scheuchte einen Bediensteten nach heißem Würzwein und ließ sich ächzend auf den Stuhl sinken.
Dietrich war enttäuscht und erleichtert zugleich, Hedwig nicht vorzufinden. Er fürchtete, ihr gefährliches Geheimnis durch einen unbedachten Blick zu verraten, wenn er ihr gegenüberstand.
Otto bedeutete ihm, sich zu setzen, aber Dietrich blieb lieber stehen.
»Ich habe mir von Randolf heute Morgen berichten lassen, was er im Heiligen Land erlebt hat, nachdem er sich dem Zug des Löwen angeschlossen hatte«, berichtete Otto, und seine Stimme war voller Grimm. »Der Braunschweiger wurde empfangen wie ein Kaiser, mit allem Prunk und ist aufs reichste beschenkt worden: vom König von Jerusalem, von Bohemund in Antiochia und vom Sultan von Ikonium.«
»Ja, und zuvor ganz besonders herzlich in Konstantinopel von Manuel Komnenos«, ergänzte Dietrich leise und bedeutungsschwer.
Otto erstarrte für einen Moment. Der skrupellose und durchtriebene Kaiser von Byzanz war, abgesehen von Papst Alexander, der bedeutendste Gegenspieler des Staufers Friedrich Barbarossa.
»Du glaubst, sie haben sich gegen unseren Kaiser verbündet?«, fragte er
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