Die Spur der Hebamme
atemlos. Er hasste es, wenn sein Bruder besser informiert war, aber das war nur normal. Dietrich hielt sich viel öfter am Hof des Kaisers auf, hatte ihn auf seinen Feldzügen nachItalien begleitet und übernahm in seinem Auftrag diplomatische Aufgaben.
Doch dass Randolf ihm nichts von Heinrichs Treffen mit Manuel erzählt hatte, machte Otto stutzig. War sein Ritter damals noch nicht mit dem Gefolge des Löwen gereist? Oder hatte er ihm das bewusst verschwiegen?
»Davon steht natürlich nichts in den geheimen Berichten, die wir erhalten haben«, meinte Dietrich. »Aber sie haben sich offenbar blendend verstanden.«
»Das riecht nach Krieg«, rief Otto.
Gelassen antwortete sein Bruder: »Der Kaiser sagt, eine Pilgerfahrt sei eine heilige Sache und läutere den Charakter.«
Otto prustete verächtlich. »Vielleicht bei einem einfachen Kaufmann oder Pfaffen, der etwas für sein Seelenheil tun will oder muss. Aber bei einem Mann, der vor allem seine eigenen Ländereien und seinen politischen Einfluss im Sinn hat?«
Dietrich lehnte sich gegen die Wand, verschränkte die Arme und betrachtete seinen Bruder wortlos, mit einem spöttischen Blitzen in den Augen.
»Was?«, brummte Otto, doch einen Augenblick später verstand er und verfluchte stumm den messerscharfen Verstand des Jüngeren. Hatte er nicht gestern erst selbst gegenüber Christian behauptet, die Pilgerfahrt habe Randolf geläutert und von allen Sünden befreit?
»Schon gut, ich weiß, was du mir sagen willst«, brummte er.
»Dann hab ein Auge auf Christians Dorf oder auch zwei«, warnte Dietrich.
Diener brachten Platten mit gebratenem Fleisch und stellten sie auf dem Tisch ab.
»Fragt meine Gemahlin, ob sie uns die Ehre erweist, mit uns zu speisen«, wies Otto an. »Sie ist nicht wohl«, erklärte er, zu Dietrich gewandt.
»Ein Fieber?«, fragte Dietrich besorgt, hin und her gerissen von dem Wunsch und der Sorge, Hedwig zu sehen.
»Sie ist gesegneten Leibes«, platzte Otto stolz heraus.
Im gleichen Augenblick trat Hedwig in die Kammer, sah Dietrich und stockte. Doch sofort hatte sie sich wieder in der Gewalt und begrüßte ihn, indem sie ihren Kopf neigte.
»Meinen Glückwunsch«, sagte Dietrich, griff nach ihrer Hand und beugte sich darüber. »Ich freue mich von Herzen mit Euch.«
Als er den Kopf wieder hob, blickte er ihr fest in die Augen. Alles wird gut, beschwor er sie stumm. Sosehr ihn die Nachricht auch getroffen hatte – es war natürlich am besten, wenn Hedwig keinen Zweifel daran haben musste, dass dieses Kind im Ehebett gezeugt worden war.
Doch Hedwig wirkte nicht nur bleich und elend. Aus ihren Augen sprach so viel Verzweiflung, dass er sie am liebsten in seine Arme gezogen und getröstet hätte.
»Sie macht sich Sorgen, weil die letzte Schwangerschaft so schwierig war. Aber ich habe sofort Messen für den glücklichen Verlauf lesen lassen«, erklärte Otto und tätschelte Hedwigs Hand. »Ich hoffe, es wird ein starker Sohn, ein kühner Recke wie unser Erstgeborener.«
So weit dies überhaupt möglich war, verdüsterte sich Hedwigs Gesicht noch mehr. »Bedenke deine Wünsche gut, mein Gemahl. Was ich hier von Albrecht höre, lässt mich zweifeln, ob er wirklich fähig ist, einmal die Herrschaft über die Mark Meißen zu übernehmen.«
»Was soll das, Weib?«, polterte Otto ungehalten. »Er ist über seine Jahre hinaus stark, geschickt mit dem Schwert und sich seiner künftigen Aufgabe bewusst. Jeder weiß, dass du deinen Jüngeren bevorzugst. Das trübt deinen Verstand.«
Zornesröte schoss in Hedwigs Gesicht, während sie nach Luftschnappte und nach Worten suchte, um sie ihrem Mann entgegenzuschmettern.
Wie kann er sie nur so beleidigen?, dachte Dietrich, und sein schlechtes Gewissen gegenüber Otto schwand. Er löste sich von der Wand und ging ein paar Schritte auf seinen Bruder zu. »Sie hat recht«, sagte er und blickte dem Älteren ernst in die Augen. »Du siehst deinen Erstgeborenen nur selten, und dir gegenüber benimmt er sich anders als sonst. Er verspricht zwar ein guter Kämpfer zu werden, aber er ist unbeherrscht, jähzornig und nutzt seine Position aus. Erst gestern habe ich gesehen, wie er einen Stallburschen wegen einer Belanglosigkeit bis aufs Blut auspeitschen ließ. Ganz abgesehen von der Heimtücke, mit der er immer wieder seinen Bruder drangsaliert, obwohl sich die beiden nun wirklich kaum begegnen.«
Otto blickte verächtlich von seiner Frau zu seinem Bruder. »Weibergeschwätz! Wer herrschen will, muss
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