Die Spur der Hebamme
schlafen legen zu wollen.
Als die Neuankömmlinge gegangen waren, atmeten Christian und Marthe tief durch und wechselten einen Blick.
Lukas war zutiefst verzweifelt.
»Ich hätte sie nie hierherbringen dürfen«, sagte er. »Dass esschwierig wird, hatte ich ja befürchtet, aber dass sie und dieser Sebastian so schlimm sind, weiß ich erst seit der Reise. Am liebsten wäre ich unterwegs umgekehrt – aber mit welcher Begründung?« Gequält sah er Marthe an. »Ich bringe dich in Gefahr. Verzeih mir!«
Lukas stand langsam auf, kniete vor Christian nieder und senkte den Kopf. »Wenn du mich aus deinen Diensten entlassen willst … vielleicht ist das die beste Lösung. Dann kannst du sie nach Hause schicken.«
Rasch zog Christian seinen jüngeren Freund auf die Füße. »Das schlag dir aus dem Kopf. Du hast schon als Knappe dein Leben für mich riskiert, da werde ich dich nicht bei der ersten Schwierigkeit davonjagen wie einen Hund.«
Er drückte ihn auf die Bank und gab ihm einen Becher Wein in die Hand. »Viel schlimmer ist, wenn ich mir ausmale, was dir mit diesem Eiszapfen bevorsteht. Gibt es wirklich keinen Weg, die Hochzeit zu verhindern?«
Resigniert schüttelte Lukas den Kopf. »Der Wille des Vaters ist Gesetz. So ist Gottes Ordnung.«
»Wie konnte dein Vater das nur tun? Er muss sie doch kennen, wenn sie die Tochter eures Nachbarn ist«, fragte Marthe bedrückt.
Christian, der Lukas’ Vater bei mehreren Gelegenheiten kennengelernt hatte, wusste, dass der nicht nur durchtrieben, sondern auch skrupellos war und weder auf eine Frau noch auf seinen Sohn irgendwelche Rücksichten nehmen würde.
Lukas aber lachte bitter auf. »Sie ist eine gute Partie. Und mein Vater meint, ich soll mich nicht um Weiberlaunen scheren, sie hat gefälligst zu gehorchen. Sich ein Weib nachts im Bett zu unterwerfen, sei der beste Weg, um es auch tags zu Gehorsam zu bringen, noch sicherer als Prügel.«
Er senkte den Kopf und sagte leise: »So hat er es mit meinerMutter gehalten. Ich kann mich kaum noch an sie erinnern. Aber ich weiß, sie ist stets nur wie ein Schatten durch das Haus gehuscht und hat selten je etwas gesagt. Er brauchte nur die Stimme heben oder sie scharf ansehen, und sie ist vor Angst zusammengezuckt. Sie muss ihn verabscheut haben, aber sie hat ihm sieben Kinder geboren. Wenn sie schwanger war, hatte sie wohl wenigstens Ruhe vor ihm.«
Wieder lachte er bitter auf. »So habe ich mir meine Ehe eigentlich nicht vorgestellt.«
Marthe gab sich wirklich alle Mühe, freundlich zu Sigrun zu sein. Am nächsten Tag lud sie Lukas’ künftige Frau nach dem Frühmahl zu einem Spaziergang über die Obstwiesen ein und ging danach mit ihr in die Kirche. Sigrun hielt beim Gehen den Rücken stocksteif. Marthe fragte sich, ob dies ihre besondere Art war, ihre vornehme Erziehung und ihre Verachtung gegenüber den vergleichsweise ungezwungenen Verhältnissen in Christians Haushalt zu zeigen.
Als sie beide vorm Altar niederknieten und nach dem Gebet aufstanden, verzerrte Sigrun das Gesicht vor Schmerz.
Ihre abweisende Miene hielt Marthe davon ab, sie danach zu fragen. Aber in einem Haushalt mit so vielen Menschen lässt sich nur sehr schwer etwas geheim halten. Es dauerte nicht lange, bis Marthe vom Gewisper der Mägde darüber erfuhr, dass das Unterkleid der fremden Jungfrau voller blutiger Streifen sei. Weitere Nachfragen brachten bald die Wahrheit zutage: Obwohl Sigrun auch zu Hause die meiste Zeit betend in der Kapelle verbrachte, oft die halbe Nacht lang mit ausgebreiteten Armen auf dem kalten Boden vor dem Altar lag, fastete und alle Gebote aufs strengste einhielt, befahl ihr der Beichtvater häufig, sich zur Strafe für ihre Sünden von ihm geißeln zu lassen. Gehorsam ließ sie ihn dann in ihre Kammer, nachdem sie alle anderenweggeschickt hatte, kniete vor ihm nieder, nur mit einem Unterhemd bekleidet und einer Kerze in der Hand, wie er es befahl, und erduldete, dass er sie blutig schlug. So auch in der vergangenen Nacht.
Marthe war entsetzt. Zugleich wurde ihr bewusst, wie viel Glück sie mit Pater Bartholomäus hatten, den Christian nicht zufällig gebeten hatte, ihm in sein Dorf zu folgen. Bartholomäus forderte natürlich auch unerschütterlichen Glauben an die Allmacht Gottes, aber gegenüber den lässlichen Sünden, die jeder dann und wann beging, zeigte er zumeist Verständnis und verhängte als Buße zehn Vaterunser oder Ave-Marias.
Sie glaubte einfach nicht, dass dieses zutiefst fromme Mädchen
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