Die Spur der Hebamme
Pflege.
Doch besonders schlimm getroffen hatte es Sigrun. Sie war durch das viele Fasten, Wachen und die Züchtigungen so geschwächt, dass Marthe bald befürchtete, sie könnte sie nicht durchbringen.
Christian führte einen harten Disput mit Sebastian, damit dieser zuließ, dass Marthe die Kranke behandelte.
Weil sich der Beichtvater hinter frommen Argumenten verschanzte, rief Christian seinen neuen Schreiber dazu, in Gedanken froh darüber, dass Gott ihm ausgerechnet jetzt jemanden ins Haus gesandt hatte, der in theologischen Streitgesprächen geübt war. Till, wie er nun gerufen wurde, lieferte sich ein fulminantes Wortgefecht mit dem starrköpfigen Beichtvater darüber, der gefährlichen Krankheit nicht nur Gebeteentgegenzusetzen. Dabei blitzten seine Augen kurz vor Lebenslust auf.
Als Sebastian immer noch nicht nachgeben wollte, hatte Christian schließlich genug vom Reden, schob den Beichtvater einfach beiseite und drohte, ihn mit gezücktem Schwert bis zu Sigruns Vater zu treiben, sollte er die Behandlung von dessen Tochter behindern.
»Geht in die Kirche und tragt endlich Euren Teil dazu bei, damit es ihr bessergeht«, fuhr er ihn an, und Sebastian beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen.
Das Fieber schüttelte und quälte den ausgemergelten Mädchenkörper. Marthe kümmerte sich selbst um Sigrun, legte ihr kalte Tücher auf und sprach tröstende Worte, wenn sie aus Fieberträumen hochfuhr.
Sie mochte sie nicht leiden, sie nahm ihr übel, dass sie mit ihrer Frömmelei und ihrem Hass Lukas das Leben vergällen würde, doch nun war sie krank und brauchte Hilfe. Und dass sie die Seuche erst ins Dorf gebracht hatte, durfte sie ihr nicht vorwerfen, obwohl sie wusste, dass mancher dies heimlich tat.
Wie durch ein Wunder war in ihrem Haushalt niemand ernstlich erkrankt, auch die Kinder nicht und keiner von den Knappen.
Doch als Sigruns erste Krise überwunden war und Marthe versuchte, der Kranken etwas Suppe einzuflößen, kehrte das Fieber mit verzehrender Macht zurück.
»Sie hat einfach keine Kraft mehr«, sagte sie beim Essen erschöpft zu Christian, während Lukas mit unergründlicher Miene vor sich hin starrte.
»Du aber auch nicht, wenn du so weitermachst«, stellte Christian fest und befahl: »Du gehst jetzt ins Bett und schläfst dich gründlich aus, am besten bis morgen Mittag. So lange können sich ihre Begleiter um sie kümmern. Sie hat schließlich genug Leute mitgebracht.«
Marthe widersprach nicht. Er hatte recht. Und sie hatte einen guten Grund, sich zu schonen: Sie glaubte, dass sie wieder schwanger war.
So folgte sie widerspruchslos der Aufforderung und schlief tatsächlich bis in den nächsten Tag hinein. Jeder hielt sich an den Befehl des Hausherrn, sie nicht zu stören und auf keinen Fall zu wecken – nicht nur aus Gehorsam, sondern auch aus Sorge um die junge Herrin. Die Mägde musterten sie schon seit Tagen mit besorgten Blicken, und die Köchin versuchte immerzu, ihr ein paar Leckerbissen zusätzlich aufzuschwatzen, weil sie so mager geworden sei.
Eine schimpfende Männerstimme und das Gezeter einer aufgebrachten Gans weckten Marthe am nächsten Tag. Dem lautstarken Treiben auf dem Hof nach musste wohl die bösartige älteste Gans den Knechten wieder einmal das Leben schwermachen. Nur weil sie die meisten Eier legte, war das tückische Biest bisher vor dem Kochtopf verschont geblieben.
Durch die Fensterluke sah Marthe, dass die Sonne schon hoch am Himmel stand. Ein ungewohnter Anblick, während sie noch im Bett lag und in das grelle Licht blinzelte. Doch sie genoss den Moment der Stille und die köstliche Einsamkeit nach Wochen gehetzter Geschäftigkeit, bevor sie aufstand und sich bereitmachte für das Tagwerk.
In der Halle standen die Mägde, starrten sie an und verstummten, als sie die Treppe herunterkam.
»Was ist los?«, wollte sie wissen, während schlimme Ängste sie überfielen. Waren die Kinder doch noch krank geworden? Oder einer von den Knappen? Großer Gott, was sollten sie Markgraf Dietrich sagen, wenn seinem einzigen Erben etwas zustieß, während er in ihrer Obhut war?
»Ein Medicus ist zu der Kranken gekommen«, erklärte Mechthildunwirsch, als die anderen weiter beharrlich schwiegen. »Ihr Beichtvater hat ihn geholt. Wir sollten Euch ja nicht stören.«
»Ist er noch bei ihr?«, wollte Marthe wissen. Vielleicht wusste der fremde Arzt ja ein besseres Mittel, um Sigrun wieder auf die Beine zu bringen.
Als Mechthild nickte, ging Marthe zu der
Weitere Kostenlose Bücher